Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
gibt nur eine Königin, nur eine Mutter dieser Rasse. Und glaub mir: Wenn Myst könnte, würde sie die ganze Welt erobern, sie mit einem ewigen Winter überziehen und Magiegeborene und Yummanii wie Vieh halten – die einen für die Seelenkraft, die anderen für Blut und Fleisch.«
»Und was ist nun mit Lannan?«
Sie ließ den Kopf sinken, und einen Moment lang war sie nicht mehr Lainule, die ein wenig mitgenommene Sommerkönigin, sondern eine Frau wie ich. Sie nahm meine Hände. »Ich wünschte, dass ich dir helfen könnte, meine Liebe, aber ich kann ihn nicht daran hindern, zu tun, was er tun will. Er steht in Reginas Gunst, und wenn ich mich einzumischen versuche, könnte sie den Pakt lösen, und die Vampire brauchen die Sommerfeen, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen. Allein werden sie gegen Myst und ihre Leute nicht bestehen.«
»Also bin ich ein Spielball seiner Launen.« Ich blickte auf ihre Hände, in denen meine lagen. »Ich weiß, ich habe die Abmachung ja selbst getroffen, aber ich habe nicht nachgedacht. Ich hatte nur gehofft …«
Sie seufzte. »Es tut mir leid, so leid.«
In diesem Augenblick kam das Mädchen mit einer silbernen Schüssel zurück. Lainule schickte sie mit einer Geste weg, dann tauchte sie die Schüssel in den stillen See und füllte sie mit warmem Sommerwasser. Sie ließ ihre Hand darübergleiten, flüsterte etwas und beugte sich vor. Dann atmete sie tief ein und aus und schloss die Augen.
Plötzlich flogen ihre Lider auf, und sie sah mich an. »Cicely. Kaylin ist in Gefahr. Seine Entwicklung schreitet voran, der Dämon versucht aufzuwachen. Wenn er nicht die nötige Hilfe bekommt, wird sein Verstand sich in die Finsternis zurückziehen und er nie wieder das Bewusstsein zurückerlangen. Du darfst keine Zeit verlieren. Du musst zum Hof der Träume gehen und den Zauber holen, der den Dämon weckt.« Sie legte mir die Hände auf die Schultern. »Such die Fledermausleute. Der Weg ist weit und gefährlich, aber wenn du Kaylin retten willst, hast du keine Wahl.«
4. Kapitel
I ch starrte die Sommerkönigin an. »Der Hof der Träume? Ihr wollt ernsthaft, dass ich mich auf eine andere Daseinsebene begebe und dort nach den Fledermausleuten suche?«
Lainule blickte mich sinnierend an. »Hier geht es nicht darum, was ich will, Kind. Das Unternehmen hängt davon ab, wie viel dir das Leben deines Freundes wert ist. Ich würde dich nicht gehen lassen, wenn Kaylin nicht eine wichtige Rolle in deiner Zukunft spielen würde – so viel kann ich dir verraten. Falls der Dämon nicht erwacht, wird er nicht gesund, und das wird den Lauf des Kriegs gegen den Indigo-Hof verändern. Ob zu unseren Gunsten oder Ungunsten vermag ich nicht zu beurteilen, aber ich spiele nicht gern mit der Zukunft, wenn sie mir einmal ihre Geheimnisse verraten hat.«
Ein Kolibri in sattem Grün mit einem Hauch Blau jagte wild flatternd um meinen Kopf herum. Der Vogel war wunderschön, fast überweltlich. Ein Windstoß konnte ihn bewusstlos schlagen, und in ein oder zwei Jahren würde er wahrscheinlich schon tot sein. Und dennoch fraß er, schien glücklich und kümmerte sich nicht um die Zukunft.
»So sorglos müsste man sein«, flüsterte ich.
Lainule folgte meinem Blick. »Der Kolibri ist nicht sorgloser als du. Er muss sich Nahrung besorgen, und das oft. Er muss ein Nest bauen und hoffen, dass er unbehelligt brüten kann, bis die Jungen geschlüpft sind, und dann, dass die Raubtiere wegbleiben, während er auf Nahrungssuche ist. Katzen, Raubvögel, Menschen … die Welt ist sein Feind, und doch …« Lainule streckte die Hand aus und pfiff, und der Kolibri schoss auf sie zu, setzte sich auf einen Finger und flatterte alle paar Sekunden mit den Flügeln.
»Und doch vertraut er auf den Lauf der Dinge in dieser Welt. Und er bringt Freude hinein. Was kannst du von ihm lernen?« Sie streichelte behutsam den Kopf des winzigen Vogels und bedeutete mir, es ihr nachzutun.
Ich spürte einen seltsamen Instinkt in mir aufsteigen, und der gefiel mir gar nicht. Etwas in mir – zweifellos mein Eulenanteil – wollte den Kolibri packen und für sich behalten, denn er war Beute, er war etwas zu fressen. Doch zum Glück gelang es mir, mich zu beherrschen, und so holte ich tief Luft, streckte die Hand aus und strich mit einem Finger über den Rücken des Vogels, der so winzig und zart und doch so unglaublich perfekt war.
»Du hast dich vermutlich gerade einer wichtigen Erkenntnis gestellt, und sie ist eine Lektion fürs
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