Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
hatte.
»Wie geht’s deiner Mom?«, fragte ich. Auch Anadey war indirekt an unserem Kampf gegen die Schattenjäger beteiligt.
»Sie ist erschöpft. Das Diner reibt sie auf. Sie sagt zwar nichts, aber ich weiß, dass sie Angst hat, ich könnte gehen, bevor sie jemanden gefunden hat, der mich ersetzt. Sie sollte sich keine Sorgen machen, aber sie tut es.« Peyton schwieg einen Moment, dann fragte sie: »Und wie geht es dir? Du hast in letzter Zeit einiges durchgemacht.«
»Ja.« Ich blinzelte. Nach New Forest zurückzukehren war gewesen, als hätte man mich in einen Kessel mit kochendem Wasser gestoßen: Entweder man arrangierte sich mit der Hitze oder starb darin. »Ich lasse es langsam angehen. Ich habe keine Ahnung, wohin uns das alles hier führt, aber ich stecke zu tief drin, um meine Zelte wieder abzubrechen.«
»Bist du in letzter Zeit geflogen?«
Ich lächelte schüchtern. »Ja … wann immer ich konnte. Zu erfahren, dass ich zum Teil Uwilahsidhe bin, ist das einzig Positive, was diese ganze Geschichte bisher bewirkt hat. Das Einzige, was mich aufrechterhält. Wenn ich draußen in der Luft bin, zählt nichts anderes mehr – nicht Lannan, Grieve, Heather, Myst … nada. In meiner Eulengestalt kann ich ein wenig Freiheit leben. Und manchmal möchte ich am liebsten niemals zurückkommen. Es wäre so einfach, zu einem anderen Wald zu fliegen und dort als Eule zu leben.« Ich brach ab, dann hob ich meinen Blick. »Aber dann komme ich doch immer wieder zurück.«
»Das kann ich verstehen. Als ich noch klein war und die Lupas mich gepiesackt haben, habe ich mir immer nur gewünscht, mich in einen Puma zu verwandeln und im Wald zu verschwinden. Ich habe es ein paarmal versucht, aber meine Mutter kam mich jedes Mal suchen. Natürlich war ich inzwischen so verängstigt und voller Heimweh, dass ich ihr schon entgegenkam, und natürlich erkannte sie mich sofort in dem Pumajungen, das sich vor lauter Eifer überschlug. Einmal fand mich ein ausgewachsenes Pumaweibchen, und irgendwie begriff sie, was hier vor sich ging, packte mich am Nackenfell und schleppte mich bis auf unsere Türschwelle.«
Ich musste lachen. Tiere, Werwesen und Gestaltwandler verstanden einander auf Ebenen, auf denen keine Sprache erforderlich war. Oder vielleicht sollte man besser sagen, dass es eine Sprache gab, aber eben keine, die Zweibeiner verwendeten. Auch wenn mir dieses Leben neu war, holte ich das Defizit rasch auf, zumal ich auch vorher schon dem Wind lauschen konnte.
»Meinst du, wir können Montag aufmachen?« Peyton arrangierte Rosen, die sie mitgebracht hatte, in einer Vase auf meinem Tisch.
Wir hatten die Eröffnung von Windzauber und Die magische Detektei, Peytons Ermittlungsbüro, in zwei Tagen geplant und waren nun mit den letzten Feinarbeiten beschäftigt.
»Ich muss eigentlich nur noch ein paar vorgefertigte Zauber zusammenstellen und die Kerzen, Zutaten und Zauberbestandteile, die Marta mir vererbt hat, einsortieren.« Marta war Peytons Großmutter gewesen, aber die beiden waren sich nie besonders grün gewesen. Auch Anadey und Marta übrigens nicht: Selten hatten sie zu einem Thema dieselbe Meinung gehabt.
Wir machten uns an die Arbeit, und innerhalb einer halben Stunde waren die Räumlichkeiten für Kunden hergerichtet. Ich schob einen Kartentisch in einen Winkel und schlug eine schwarze Tischdecke darüber; Peyton war eine gute Kartenleserin und sollte hier unbedingt auch Klienten empfangen. Als wir gerade dabei waren, in einem Schaukasten Talismane zu arrangieren, die Ärger abwiesen, ließ mich ein Geräusch aufblicken, und ich erblickte Kaylin im Türrahmen. Er sah irgendwie merkwürdig aus.
»Was ist los? Alles okay mit dir?«
»Ich weiß nicht«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich fühle mich so … komisch. Erst seit ein paar Minuten. Ich … kann kaum denken … das Zimmer –…« Und mit einem tiefen Stöhnen sank er mit dem Rücken gegen die Tür.
Peyton und ich stürzten vor und bekamen ihn gerade noch rechtzeitig zu fassen, bevor er zu Boden glitt. Seine Augen waren offen, aber er reagierte nicht.
»Dreck. Komm, bringen wir ihn auf die Couch ins Wohnzimmer. Und dann ruf Rhiannon und frag, wo Leo ist. Hier ist wohl ein Heiler gefordert!«
Peyton und ich schleppten Kaylin ins Wohnzimmer, und während ich immer wieder in die blicklosen Augen sah, die in den Kopf zurückgerollt waren, wuchs meine Angst, dass er schon tot war. Wir hievten ihn aufs Sofa, und ich sank neben ihm auf die Knie und
Weitere Kostenlose Bücher