Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
verstärkt – Sommermagie. Das Funkeln, das du siehst, stammt von Sonnenlicht, das man in Edelsteine eingeschlossen hat.« Er warf mir einen Blick zu, und seine Augen schimmerten, und ich begann zu begreifen, wie viel der Hof von Schilf und Aue verloren hatte, als Myst und ihr Volk den Wald plündernd und mordend für sich beansprucht hatten.
Ein Gedanke kam mir, aber ich wollte ihn nicht aussprechen, noch nicht. Doch was, wenn Lainule ihren Herzstein hier in diesen unterirdischen Gängen verborgen hatte? Vielleicht war das der Grund gewesen, warum sie die Eingänge versiegelt hatte. Konnten wir ihn vielleicht finden und ihr bringen?
Augenblicklich jedoch stieg die Erinnerung an mein Versprechen in mir auf, und sosehr ich mir gewünscht hätte, mich umzusehen und zu suchen, ich konnte mich nicht dazu durchringen. Der Eid, den ich geleistet hatte, war bindend, und ich konnte mir nicht leisten, ihn zu brechen … noch nicht jedenfalls. Aber später, wenn das Risiko nicht mehr so groß war …
Ich sammelte mich und wandte mich an Chatter. »Es müsste ungefähr zwei Uhr mittags sein. Wir sollten keine Zeit verlieren.«
»Richtig, aber du wirst feststellen, dass die Zeit keine Bedeutung mehr hat. Im Augenblick jedenfalls nicht.«
Ich wollte fragen, was er meinte, aber er wandte sich ab und marschierte los, und wir folgten ihm durch den sich windenden Tunnel. Obwohl der Gang leer und gut zu überblicken und sogar recht warm und trocken war, fühlte ich mich beobachtet, was mir Unbehagen bereitete. Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, dass Myst oder einer ihrer Gefolgsleute sich unserer Anwesenheit hier unten bewusst waren. Nein, es war eher, als würde man sich in einem begehbaren Erinnerungsalbum befinden, in dem die Gerüche und Geräusche von längst vergangenen Partys und Bällen eingefangen worden waren und nun gerade noch hörbar nachklangen.
Sogar Peyton bemerkte es. Plötzlich hielt sie an. »Was ist das?«
»Was?«
Sie wandte sich langsam hierhin und dorthin, dann entspannte sie sich wieder. »Wohl doch nichts. Ich dachte, ich hätte etwas gehört, aber da war nichts.«
Die abrupten Verlagerungen in der Atmosphäre, die wechselnden Lüftchen setzten sich fort, und irgendwann fühlte ich mich, als würde ich durch einen Traum wandern. Ich schaltete meine Füße auf Autopilot und ließ mich immer wieder in den Sog des Windes ziehen, um die Stimmen aufzuschnappen, die flüsternd vorbeirauschten. Ich hörte perlendes Gelächter, leise Worte in einer lauen Sommernacht, ein Ruf des Erkennens. Nach einer Weile gab ich es auf, verstehen zu wollen, und ließ die Laute einfach über mich hinwegspülen und wieder verschwinden.
Nach einer langen Weile blieb Chatter stehen und deutete auf eine Weggabelung. »Nach links, dann ist es nicht mehr weit, bis wir eine Leiter erreichen, wo wir hinaufsteigen müssen.«
Ich biss mir auf die Lippe. Was mochte da draußen auf uns warten? »Wie lange sind wir gegangen?«
»Die Tunnel gehören zur Grabhügelanlage. Die Zeit verschiebt sich, während wir hier sind, oder besser: Sie wird gekrümmt. Unmöglich zu sagen, wie lange wir, verglichen mit der Außenwelt, hier unten unterwegs sind.«
Ich hatte eine solche Zeitdehnung erlebt, als ich am Dovetail Lake Lainules Reich betreten hatte, und immer wenn ich mich in eine Eule verwandelte, passierte etwas Ähnliches. Entweder flog die Zeit nur so vorbei, ohne dass ich es bemerkte, oder es kam mir vor, als sei ich Stunden unterwegs, obwohl es nur Augenblicke waren, wie ich feststellte, sobald ich wieder zurück in meinem Zimmer war.
Ich schien diese Zeitverschiebungen nicht kontrollieren zu können, und verstehen konnte ich sie auch noch nicht, aber sie gehörten definitiv zu meiner erwachenden Feennatur. Manchmal kam es mir vor, als hätte ich diesen Teil meiner selbst in der Jugend weggeschlossen, damit er vom Prinzen wachgeküsst werden konnte – nur war der Kuss ein Anhänger gewesen, und anstatt aus einem Tiefschlaf aufzuwachen, war meine neue Gestalt erwacht. Bis zu diesem Moment war mein Leben den gleichen Zeitspannen unterworfen gewesen wie die der Yummanii und der Werwesen, obwohl Magiegeborene – genau wie Werwesen – länger lebten.
Wir stiegen die Leiter hinauf, und diesmal war Chatter der Erste. Wieder spürte ich die Schwingung des Silbers in jeder Faser meines Körpers. Oben machte Chatter etwas, das ich nicht sehen konnte, und schon krochen wir wieder hinaus in den Schnee. Das Erste, was mir auffiel, war
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