Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
und ihm zu folgen. Also schlossen Peyton und ich uns ihm wieder an und betraten hinter ihm die Höhle.
Unbewusst hatte ich wohl totale Finsternis oder Ähnliches erwartet, ganz sicher aber nicht die Lichtexplosion, die uns im Innern begrüßte. Die Decke war mit kleinen Lichtquellen, Tausenden von kleinen Sonnen, gesprenkelt, und sie erzeugten eine solch blendende Helligkeit, dass ich augenblicklich Kopfschmerzen bekam. Instinktiv hob ich die Hand über die Augen, um sie abzuschirmen. Ich konnte kaum etwas sehen, aber eine seltsame Empfindung erfasste meinen Körper: Ich hatte das Gefühl, als würde ich analysiert, durchleuchtet und gereinigt. Ich blickte an mir herab und sah eine feine Ascheschicht auf meinen Armen. Als ich sie abschüttelte, schimmerte die Haut darunter rosig, und ich begriff, dass das intensive Licht die abgestorbenen Hautschuppen weggebrannt hatte.
Ich sah zu Boden. Wir gingen über ein engmaschiges Gitter, solide wie Stein, aber mit der Funktion eines Siebs, durch das die tote Haut fallen konnte, und tief, tief unter uns sah ich eine Flamme brennen.
Verschreckt rückte ich näher an Chatter heran und berührte seinen Arm. Als er sich halb zu mir umwandte, deutete ich auf das Gitter unter meinen Füßen. Er nickte nur, aber sein Blick warnte mich. Also hielt ich den Mund, ließ mich wieder zu Peyton zurückfallen und nahm ihre Hand. Sie sah genauso nervös aus, wie ich mich fühlte.
Wir ließen das Gitter hinter uns und betraten eine zweite Kammer, die so dunkel war wie die andere hell. In der plötzlichen Finsternis blind, blieb ich abrupt stehen, doch dann spürte ich Hände – von jemandem, der entsetzlich groß und stark war –, die sich sanft auf meine Schultern legten. Durch meine Windjacke fühlte ich scharfe Nägel, und wer immer hinter mir stand, versetzte mir einen Schubs voran.
Zu ängstlich, um mich umzudrehen, setzte ich mich in Bewegung. Dichter Nebel quoll in den Raum, und als ich die Luft einsog, fühlte es sich an, als würde ich Wasser atmen. Der Nebel ergoss sich über meinem Körper wie Sirup über Pfannkuchen, und ich begann zu zerrinnen, genau wie ich geschmolzen war, als Kaylin mich zum Traumwandeln mitgenommen hatte.
Ich schloss die Augen, als mir unwillkürlich Gary Numans Remember I was Vapour in den Sinn kam. Ich formte die Worte lautlos mit den Lippen, während wir vorwärtsglitten, flossen, zerrannen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob wir überhaupt noch Körper hatten, aber es fühlte sich so unfassbar entspannt an, dass ich aufhörte, mir darüber Gedanken zu machen, und mich einfach über den Grund ergoss.
Ein Wasserfall stürzte in meinen Körper und wusch mich rein, und ich schloss meine Augen und legte den Kopf zurück. Der funkelnde, plätschernde Strom spülte Schmerz und Erschöpfung weg und nahm auch die Überreste der Empfindungen mit, die von der Berührung des Traummonsters hängengeblieben waren.
Als wir erneut eine Tür erreichten, fand ich mich schlagartig in meinem Körper wieder. Mein Haar hing triefend nass herab, doch ob es wirklich Wasser gewesen war, die Feuchtigkeit des Nebels oder Schweiß, hätte ich nicht sagen können. Ich blickte mich um, stellte fest, dass ich mich in einer schwach beleuchteten Halle befand, und entdeckte Peyton und Chatter, die genauso nass waren wie ich. Und weiter hinten sah ich einen Thron.
Throne sind dazu gemacht, einzuschüchtern und zu beeindrucken. Das gelang diesem mühelos: Mit seiner hohen, schmalen Lehne war er groß, massiv und eines Königs würdig – eines Königs mit sehr großen Flügeln.
Als Chatter Peyton und mir bedeutete, dicht bei ihm zu bleiben, nahm ich eine Bewegung weit hinten in der Halle wahr, und eine Gestalt trat aus dem Dunkeln hervor. Sie war groß, in wirbelnden Rauch gehüllt, und hinter ihrem Kopf ragten die Flügel auf. Das Wesen war gute drei Meter hoch, hager, sehnig und dünn, und vom Gesicht konnte ich nur die Augen erkennen, die nach außen gewölbt und facettiert waren. Es nahm seinen Platz auf dem hohen Thron ein, deponierte die Flügel links und rechts vom Stuhl, deutete auf eine Stelle vor sich und wartete.
Chatter schob mich vor und kam mit Peyton nach.
Das Wesen beugte sich vor und sagte mit einer Stimme, die so hoch war, dass ich sie kaum verstehen konnte: »Willkommen am Hof der Träume, Cicely Waters. Was willst du von mir?«
Ich hatte keine Ahnung, wie ich es ansprechen sollte, daher versuchte ich es mit einer Vermutung. »Eure Majestät, habe ich
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