Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
zu verwandeln und in die Nacht hinauszufliegen. Wenn ich flog, konnte ich wenigstens vorübergehend Ängste und Unsicherheiten abschütteln. Sobald wir wieder zu Hause waren, würde ich die Flügel ausbreiten und allem entfliehen. Wenigstens für eine kleine Weile.
»Du hast den Jungen? Der, der an den Nachtflor gekettet ist?« Die Stimme war so kratzig, dass es mir in den Ohren weh tat, und ich fuhr unwillkürlich zurück, als der Fledermausmann auf mich zukam. Der König lehnte sich auf seinem Thron zurück und schien davon nicht beeinträchtigt.
»Er ist nicht mitgekommen, nein. Er ist noch in unserer Welt – bewusstlos. Lainule sagte, sein Dämon versuche zu erwachen, und deshalb bräuchte er einen Bann vom Fledermausvolk.« Ich zwang mich, mich aufrecht hinzusetzen, und kämpfte meine Angst nieder.
Der Schatten lachte, ein hässlicher Laut, der mir Angst einjagte. In seinen brennenden grünen Augen funkelten winzige weiße Punkte. »Ja … Sein Dämon muss erwachen, denn sonst wird er für ewig in den Tiefen seines Verstandes eingesperrt sein. Ich werde euch den Zauber verraten, doch ihr müsst vorbereitet sein. Erreicht dein Freund diesen neuen Zustand, wird sein Verhalten unberechenbar. Ich übernehme keine Verantwortung für seine Reaktionen, sobald der Nachtflor erwacht ist. Sei dir sicher, dass du das tun willst, Cambyra-Fee. Denn hast du es einmal getan, kannst du es nicht rückgängig machen, und ich bezweifle, dass du mit Kaylin fertig wirst, wenn er seinen Dämon erst einmal kennengelernt und angenommen hat.«
»Warum will er denn ausgerechnet jetzt aufwachen? Außerdem dachte ich, er sei gestorben, als er im Mutterleib in Kaylins Seele eingedrungen ist.«
»Dringt ein Dämon in eine Seele ein, stirbt er tatsächlich, aber er hinterlässt eine Saat, ein Junges, das nach einer Weile – meistens einer langen Zeit – erwacht. So ist eben der Lebenszyklus der Nachtflore.«
Ich blickte zu Chatter und fragte mich, was zum Teufel das heißen sollte. Aber ich hatte in den vergangen Wochen gelernt, dass Angst ein schlechter Grund für Zurückhaltung war. Angst lähmte. Zögern war tödlich.
»Gib mir den Zauber mit. Ich bringe ihn ihm und wende ihn an, wenn ich kann.«
Der Schamane äußerte ein paar Klicklaute, dann reichte er mir einen Fetisch. Es war eine grotesk verzerrte Figur, und ich hatte das unbehagliche Gefühl, dass sie einen der Dämonen darstellte.
»Um seinen Nachtflor anzurufen, ziehe um den Wirt einen Kreis aus Salz, darin einen aus Kristallen – Quarz – und zum Schluss einen aus Belladonna. Dann befolgst du folgende einfache Schritte.« Und er gab mir die restlichen Anweisungen.
»Danke. Wir brauchen Kaylin. Und er ist unser Freund.«
»Heute Freund, morgen Feind, vielleicht durch eine Kleinigkeit. Ihr dürft jedoch nicht trödeln. Wenn er zu lange in der Welt der Träume bleibt, kann er nicht mehr erwachen, und sein Körper siecht dahin.« Und damit ließ er mich einfach stehen und verschwand.
Ich steckte die hässliche Figur in meine Tasche und zog den Reißverschluss zu. Wir standen auf. Ich sah mich nach dem König der Träume um und erschrak. Auch er hatte sich erhoben und stand nun mit ausgebreiteten Flügeln da, und die ungeheure Spannweite war beängstigend.
»Cicely!« Seine Stimme hallte durch den Raum. »Geh jetzt. Aber vergiss nicht, dass wir euch beobachten. Wir kennen dich jetzt. Lainule schuldet uns einen Gefallen. Und du auch.«
In einem tosenden Wirbel aus Schatten und Nebel verschwand er vor unseren Augen, und wir fanden uns draußen vor der Höhle wieder.
Schaudernd sah ich Chatter an. »Bring uns hier raus. Schnell.«
Er nickte. »Ja, ich denke auch, dass wir besser verschwinden sollten. Kommt.«
Den ganzen Weg zurück zum Portal schwiegen wir und bewegten uns so schnell vorwärts, wie es uns möglich war. Wieder betraten wir die Höhle, ließen uns durch das Portal ziehen und wurden im Strudel der Energie aus dem Hof der Träume getragen und zurück in die Höhle auf unserer Seite der Welt gebracht.
Als wir schließlich ins Freie traten, stellten wir fest, dass der Morgen angebrochen war.
Ich war zu Tode erschöpft. »Wir sind die ganze Nacht dort gewesen. Aber das ist gut. Jetzt müssen die Schattenjäger sich wieder vor dem Licht verbergen.«
»Schon, aber wir müssen uns dennoch beeilen. Ich habe das Gefühl, dass uns die Zeit davonläuft.« Chatter trieb uns an und erlaubte uns nicht einmal die kleinste Pause. Als wir ungefähr die Hälfte
Weitere Kostenlose Bücher