Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
der Laut von Geistern im Wind.
Langsam erhob Lannan sich. »Mein Meister. Ich bin gekommen, um deine Hilfe zu erbitten.«
Und dann war er da, hockte am Rand der Plattform. Crawl. Das Blutorakel. Der Vampir, den jeder andere Vampir verehrte, vielleicht mehr sogar als die Königin. Crawl, der fast nicht mehr als Vampir zu erkennen war, und wenn er je menschlich gewesen war, so war davon nichts geblieben. Crawl, der mehr Macht war als Wesen.
Verzerrt und gekrümmt wie er war, kroch und krabbelte Crawl eher wie ein Käfer oder eine Spinne, als dass er ging. Seine Haut war geschwärzt, wie durch ein Feuer verkohlt, das tief in seinem Innern brannte, und sein Haar bestand aus verfilzten Büscheln. Vor dem Podest in seiner Reichweite schwebte ein Brunnen mit blubberndem Blut, umringt von Flammen, die niemals flackerten. Das Blut war frisch, roch klebrig und übelkeiterregend, aber es plätscherte so unschuldig wie ein Gebirgsbach. Crawls lidlose Augen leuchteten entzückt auf, als er mich hinter Lannan stehen sah.
»Ihr Blut – das Orakel erinnert sich an den Geschmack ihres Bluts.« Seine Zunge schoss zwischen seinen dünnen Lippen hervor, und ein knochiger Finger deutete auf mich. Seine Hand bebte. »Gib Crawl dein Blut. Süß und zäh in meinem Mund. Schnell, Sohn des Orakels. Schneid ins Fleisch und opfere.«
Lannan packte mein Handgelenk und bedachte mich mit einem Blick, der jeden Widerstand, den ich an den Tag hätte legen können, im Keim erstickte. Regina hatte meinen Dolch gefordert, um meine Haut zu schlitzen, aber Lannan nahm einfach seinen scharf gefeilten Fingernagel, riss die Haut an meinem Unterarm auf und bedeutete Crawl zurückzutreten.
Crawl starrte auf das Blut, das meinen Arm herabrann, und wieder leuchteten seine dunklen Augen auf. Bevor Lannan oder ich reagieren konnten, streckte er seinen unfassbar langen Arm aus, packte mich an den Haaren und zog mich zu sich auf die Plattform.
Lannan stieß einen erschreckten Ruf aus und stürzte vor, um mich festzuhalten, doch er schaffte es nicht mehr, und plötzlich lag ich auf dem Podest und blickte zum Blutorakel auf. Ich schrie auf, als seine Krallen sich in meine Schultern gruben. Einer riesigen Gottesanbeterin gleich beugte er sich über mich und schwenkte seinen Kopf abschätzend hierhin und dorthin, als sei ich ein Happy Meal, dessen Verzehr er genießerisch herauszögerte. Ich wand mich, versuchte mich wegzurollen, aber er setzte sich auf mich und hielt mich am Boden fest.
Verdammt. Ich musste schnell weg, denn ich wusste, dass Crawl einen großen Happen aus mir herausbeißen wollte oder zumindest seine Fangzähne in mich schlagen würde, und wer wusste schon, wo diese Fangzähne vorher gesteckt hatten? Ich wehrte mich und kämpfte, aber er war unglaublich stark, und seine dünnen Ärmchen waren alles andere als spröde. Er kam näher, und mit klappernden Zähnen und gierig glänzenden Augen senkte er den Kopf.
»Die hier, die ist das Dessert. Sie ist süß. Der Bauch des Blutorakels knurrt, sie ist der Nektar. Lannan will dem Blutorakel wohl, wenn er ihm solch eine Leckerei mitbringt.« Crawl roch nach faulendem Holz und Mottenkugeln, und ich trommelte auf seine Schultern ein.
»Nein! Nein! Du trinkst nicht von mir.« Mein panischer Blick suchte Lannan, der sich aufs Podest schwang. »Lannan! Hilf mir! Bitte!«
Lannan verzog zynisch den Mund, aber seine Augen blickten besorgt, als er neben dem Blutorakel in die Knie ging. »Erinnert sich der Meister vielleicht an das eine Gesetz der Karmesin-Königin, das einzige, das auch für das Blutorakel gilt?«
Crawl senkte den Kopf und leckte das Blut von meinem Arm, wo Lannan mich gekratzt hatte. Die rauhe Zunge fühlte sich an wie zappelnde Insekten. Ich schluchzte auf, wünschte mir sehnlichst, dass bald alles vorbei war, hoffte und betete, dass ich nur schlecht träumte, aber der Gestank Crawls hüllte all meine Sinne ein. Wenn ich etwas Derartiges von nun an immer wieder durchmachen musste, konnte ich es ertragen? Wenigstens um meiner Liebe zu Grieve willen?
»Mein Sohn sollte seine Bemerkungen für sich behalten.« Crawl warf einen Blick über die Schulter und zischte Lannan an. »Das Blutorakel ist hungrig, und es ist lange her, dass es etwas gegessen hat. Das süße Fleisch vor ihm ist eine Versuchung, der es nicht widerstehen kann.« Und dann wandte er den Kopf wieder zu mir, öffnete den Mund und biss mir in die Schulter.
Der Schmerz blendete mich. Brennend wie Feuer sickerte er in
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