Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
kommentierte ich meine Entdeckung nicht. Vampire liebten ihre kleinen Geheimnisse. Die Tür ging auf, und wir schlüpften hinein. Die Kammer war so dunkel, wie ich sie in Erinnerung hatte, und noch immer stand in der Mitte der Tisch, über dem eine einzelne nackte Glühbirne leuchtete. Hier wohnte Magie, uralte, intensive und tentakelgleiche Magie, die im Dunkeln herankroch und nach den Besuchern tastete. Wie Crawl selbst, dachte ich.
Ich blieb im Schein des Lichtkegels. Die Winkel im Schatten versprachen Gefahren. Krabbelnde, huschende Gefahren, die mich womöglich lebendig verschlingen und nur die Knochen wieder ausspucken würden. In der Mitte des Tischs befand sich ein Kristall, der über einer blutroten Glasscheibe schwebte. Das erste Mal, als ich hier gewesen war – kurz bevor ich mich selbst an die Vampire verkauft hatte –, war ich zu entsetzt gewesen, um auch nur ein Wort hervorzubringen, geschweige denn Fragen zu stellen.
Nun wandte ich mich an Lannan. »Was ist das?«
Er sah mich einen Moment lang an, verzog abschätzig den Mund, dann zuckte er mit den Achseln. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Niemand hat sich je die Mühe gemacht, es mir zu erklären.« Was ihn offenbar ärgerte. »Meine Schwester, so sehr ich sie liebe, glaubt nicht, dass ich meinen Mund halten kann. Und Geoffrey …« Wieder brach er ab, und sein Gesicht verfinsterte sich. »Du magst vielleicht denken, er sei der große Beschützer, der dich vor mir retten kann, aber der Regent ist nicht unbedingt der, für den du ihn hältst. Einmal Kriegsherr, immer Kriegsherr. Denk daran, Cicely, wenn es darum geht, einen Erzeuger zu wählen. Oder die Seite, auf die du dich schlagen willst.«
Ich hustete. »Ich habe nicht vor, einen Erzeuger zu wählen. Ich will kein Vampir werden.«
Aber Lannan fuhr fort, als habe mein Einspruch keine Bedeutung. »Entweder wird Myst dich in ihre Dienste zwingen, oder du suchst dir einen von uns aus. Ich würde mich aus den bekannten Gründen selbst empfehlen, aber wenn du mich so wenig leiden kannst, dann nimm meine Schwester. In ihrer Nähe bist du sicherer als in Geoffreys, auch wenn du mir das vielleicht im Augenblick nicht glauben willst.«
Er stieß mich zum Tisch und beugte sich über den Kristall, und sein Blick fixierte die blutroten Lichtwirbel, die davon aufzusteigen begannen.
»Nimm meine Hand. Sofort.«
Ich gehorchte und ergriff seine kalten Finger, als ein Wind sich erhob. Die Energie wirbelte im Kreis umher und wuchs zu einem Trichter, der uns hineinsog, und dann verschwanden wir durch den Kaninchenbau.
Während die Blätter im Kalender nur so davonflogen, rasten wir durch den Äther der Zeit und wurden von Sturmböen hin- und hergeworfen. Wir waren die Zaunpfähle im Tornado, ein Boot in wilder Brandung, die Bäume, deren Kronen beim Waldbrand verpufften. Ich klammerte mich an Lannans Hand, ohne mich noch länger darum zu kümmern, um wen es sich handelte, denn er war meine Rettungsleine, und wenn ich losließ, war ich verloren, das wusste ich.
Ich weiß nicht, ob es Stunden oder nur Sekunden dauerte, aber irgendwann verloschen die wirbelnden Lichter, und wir landeten in einem Raum, an den ich mich nur allzu gut erinnern konnte. Crawls Tempel. Der riesige, vor Energie pulsierende Saal erstreckte sich so weit in die Ferne, dass ich das Ende nicht erkennen konnte, und die Decke war mindestens zehn Meter hoch. Die Wände waren karmesinrot, und hatte ich beim ersten Mal an eine Tapete gedacht, glaubte ich nun zu erkennen, dass Blut sie färbte. Bänke standen entlang der Wand, magische Zeichen bedeckten den Boden, und der Geruch der alten Magie hing überall.
Lannan legte einen Arm um meine Taille, und ausnahmsweise wehrte ich mich nicht, als er mich zum Podest führte. Der Gehweg aus Terrakotta war die einzige symbolfreie Fläche, und ich achtete peinlich genau darauf, nicht über den Wegrand zu treten. Je näher wir kamen, umso schleppender, zögernder wurden meine Schritte. Ich wusste, wer auf der Plattform wartete, und ein Besuch hatte mir wahrlich gereicht.
Doch dann waren wir plötzlich dort. Lannan trat vor mich und kniete sich zu meiner großen Überraschung vor den Vorhängen, die das Podest einhüllten, nieder.
»Erhebe dich, Sohn des Crawl. Das Blutorakel erkennt dich. Steh auf, mein Wilder, und stell deine Fragen. Antworten werden gegen Zahlung gewährt.« Die Stimme drang hinter dem Vorhang hervor, heiser und krächzend, wie das Pfeifen des Windes durch antike Ruinen,
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