Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
meinen Körper, als Crawls Fangzähne tief eindrangen und er zu trinken begann. Das Wissen, dass er mein Blut aus mir heraussaugte, bereitete mir Übelkeit. Dies hier war ganz anders als die Male, die Grieve von mir getrunken hatte, auch anders als die Erfahrung mit Lannan. Das Blut floss jetzt in Strömen aus mir heraus, und Crawl suhlte sich in meinem Lebenssaft. Ich schloss die Augen und versuchte, meine Kräfte zu mobilisieren, aber der Schmerz war alles, was ich wahrnehmen konnte, ein grellweißes Feuer, das meine Sicht vernebelte.
Und dann zog sich alles in den Hintergrund zurück, und ich blickte in einen langen Tunnel. Ganz hinten am anderen Ende stand Lannan, reckte mir die Arme entgegen und rief meinen Namen. Ich versuchte, mich umzuwenden, aber ich konnte mich nicht regen.
Mein Wolf begann zu heulen, und ich wollte ihn streicheln und trösten, aber es gab keinen Trost, nur einen tiefen Graben, der mich von meinem Geliebten trennte. Ich ließ mich in den Windschatten sinken, suchte Grieve, rief ihn.
Grieve, Grieve, wo bist du? Warum kommst du nicht und hilfst mir?
Und dann sah ich ihn, jedoch am Ende einer langen, schmalen Schlucht, und er rannte auf mich zu, aber ich wusste, dass er mich nicht sehen konnte. Er schrie meinen Namen und sah sich suchend nach mir um, aber ich konnte den zähen Nebel, der über den Schnee waberte, nicht durchstoßen, denn alles war vereist, strahlend hell, rein. Ich wollte zu ihm laufen, wünschte mir nichts mehr, als mich in seine Arme zu werfen, mich in Sicherheit zu wiegen, mich an seine Brust ziehen zu lassen und frei zu sein von der Kreatur, die mir Tropfen für Tropfen das Leben aussaugte.
Cicely! Wo bist du? Ich kann dich nicht finden!
Ich bin hier, Grieve! Grieve, kannst du mich hören? Aber er konnte es nicht, und besiegt verwandelte er sich in den Wolf und rannte knurrend und heulend in den Wald hinein.
Nein, Grieve. Bitte komm zu mir. Komm zu mir zurück.
Doch es war dunkel, der Mond erhob sich über den verschneiten Wald, und er war fort.
»Cicely! Komm zurück! Komm zu mir zurück, Cicely!« Und dann stand am Ende des Tunnels wieder Lannan, und ich wandte mich um und machte mich auf den Weg zu ihm. Als ich in Reichweite war, packte er mich und stieß mich hinter sich, und ich taumelte in die Dunkelheit, als seine donnernde Stimme in der Leere ertönte und der Tunnel zurückzuweichen begann.
»Bei der Macht der Karmesin-Königin! Du hast kein Recht zu trinken!« Seine herrischen Worte ließen die Wände zittern.
Crawl stieß einen kreischenden Laut aus. »Du wagst es, deinen Erzeuger zurechtzuweisen? Ich bin dein Meister, ich bin das Blutorakel! Und wer bist du, der du mir befehlen willst, was ich tun darf? Du bist nicht deine Schwester, du unerzogener Bengel, ich hätte dich niemals verwandeln dürfen. Ich hätte dich umbringen sollen, denn du bist schwach. Du bist zu sehr wie Magiegeborener oder Mensch – Vieh!«
Doch noch während er sprach, lockerte sich sein Griff, und ich schlug die Augen auf. Ich fühlte mich unendlich schlapp. Hilfesuchend blickte ich zu Lannan, aber er schüttelte den Kopf, um mir zu bedeuten, mich nicht zu regen. Ich gehorchte.
»Alter Vater, ich flehe dich an, erinnere dich an das Abkommen. Denk an die Gesetze der Karmesin-Königin. Erinnere dich daran, wer du bist und wie du dazu geworden bist.« Lannan hielt ihm flehend die Hände entgegen.
Crawl ließ schwer atmend von mir ab, dann hockte er sich auf seine Fersen. Er sah auf mich herab, die ich keuchend, blutend am Boden lag. Kein Mitgefühl, keine Gnade würde sich je wieder in diesem Gesicht abzeichnen – wenn sie es je getan hatten. Plötzlich wurde ich mir bewusst, dass ich ihn ebenfalls anstarrte. Keine gute Idee. Doch in diesem Moment spürte ich das Erbe meines Vaters in mir aufwallen, und ich klammerte mich in Gedanken an meine Eulengestalt und stellte mir vor, wie ich flog, frei und glücklich, unerreichbar, und in diesem Moment zog sich Crawl zurück auf seinen gepolsterten Thron. Lannan hob mich behutsam vom Podest und wich mit mir zurück, bis wir einen halbwegs sicheren Abstand eingenommen hatten.
Er sah mich an, zwang mich, ihm in die Augen zu blicken, und wandte sich dann mit mir ohne ein Wort um und wanderte auf dem gekachelten Pfad davon.
Crawls Stimme hallte hinter uns her. »Hör mir zu, Sohn des Blutorakels. Du besiegelst deinen eigenen Untergang, wenn du dich zu sehr für diese sterblichen Wesen interessierst. Es sollte dich nach Blut gelüsten,
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