Das Dunkle
vertraulich?“, fuhr sie fort. „Und fröhlich.“
Er sah sie von der Seite an. Ihr erwartungsvoller Blick ärgerte ihn. Wer war denn hier der Gedankenleser? Er zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, die waren bloß durchgeknallt, wegen dem, was sie gestern gesehen haben. Mann, das wäre ich auch.“
Der Gedanke, direkt dahin zurückzufahren, wo das Ganze passiert war, begeisterte Jonathan nicht gerade. Er fragte sich, weshalb er hier war und nicht zur Schule zurückfuhr, um Jessica zu berichten, was passiert war und sich zu versichern, dass es ihr gut ging.
Vielleicht weil er Dess am ehesten vertraute, dass sie Jessica helfen würde, wenn diese sie wirklich brauchte. Vor zehn Tagen hatte er gesehen, wer die anderen beiden über die von Darklingen übervölkerte Wüste geführt hatte, als er mit Jessica in der Schlangengrube in der Falle saß.
„Klar. Die Sache mit dem Trauma hat damit zu tun.“ Dess nickte vor sich hin. „Aber da war noch was.“
„Was denn zum Beispiel? Was sollte da noch sein?“
„Du weißt schon, was ich meine.“
Direkt hinter ihnen hupte ein Trucker. Jonathan manövrierte sein Fahrzeug aus dem Weg, was ihm den höflichen Mittelfinger einbrachte, als der Truck vorbeidonnerte. Diese Unterhaltung lenkte ihn gefährlich ab.
„Du spinnst“, sagte Jonathan. „Kann nicht sein.“
„Stimmt. Eigentlich unmöglich. Ist ein bisschen komplizierter.“
Er schnaubte. „Ich kann mir nicht vorstellen, was noch komplizierter sein könnte.“
Sie kicherte, dann sagte sie: „Weißt du, einmal haben sie …“
Jonathan sah sie entsetzt an. „Haben was?“
„Das doch nicht.“ Sie lachte. „Aber als sie Kinder waren, da hat Rex Melissa aus Versehen berührt.“
„Oh.“ Jonathans linke Hand zitterte kurz, als die Erinnerung an ein Gefühl durch seinen Körper fuhr und ihm schwindelig wurde. Er packte das Lenkrad fester, konzentrierte sich auf die weißen Striche, die vor ihm zuckten, und konnte das Fahrzeug so unter Kontrolle halten, bis der Spuk vorüberging.
„Rex hat mir davon erzählt“, redete Dess weiter. „Meinte, es sei eine volle Kopfnuss, als ob sie sich in sein Hirn drängen würde und er sich in ihres.“
Jonathan nickte. „Genau. So fühlt sich das an.“
„Was? Woher weißt du das denn?“
Er zögerte. Er fragte sich, warum er nie jemandem davon erzählt hatte, auch Jessica nicht. (Gerade Jessica nicht, fiel ihm dabei ein.) Rex musste es gemerkt haben, als es passierte, aber weder er noch Jonathan hatten es je zur Sprache gebracht.
Und Melissa hatte nach dem einen danke in der Wüste natürlich auch nichts mehr dazu gesagt.
„Also, das war am vorletzten Wochenende, als wir herausgefunden haben, dass Jessica Flammenbringer ist. Als ihr versucht habt, zur Schlangengrube zu kommen, und du deine Amazonenvorstellung geboten hast.“
„Das war cool. Als Formvollendet Hochlodernder Illusionismus diesem Darkling den Hintern versengt hat.“
„Doch, ja. Aber vielleicht erinnerst du dich, dass du Rex und Melissa inmitten von unzähligen Spinnen zurückgelassen hast. Und ich musste zurückfliegen und die beiden retten.“
Dess schwieg eine Weile, dann atmete sie heftig aus.
„Stimmt ja! Du hast Melissa zur Schlangengrube geflogen. Du hast sie also …“
„Berührt.“ Jonathan spürte, wie ein Schatten des Schwindelgefühls ihn erneut heimzusuchen drohte – die Gedanken und Gefühle, die ekelerregend auf ihn einstürmten, Melissas unablässige Verzweiflung, ihre Abscheu gegen diese wenigen Sekunden menschlichen Kontakts. Seit jener Nacht hatte er sie anders gesehen als vorher. Er entdeckte hinter ihrer Finsternis etwas anderes als ihren Hass auf alles Menschliche – etwas Zerbrechliches.
Jonathan schauderte. Mit oder ohne Schweigen, irgendwie fühlte er sich ihr jetzt näher. Es war wesentlich einfacher gewesen, solange er sie nur für eine überhebliche Zicke gehalten hatte.
„Verdammt“, murmelte Dess leise. „Rex hasst dich wahrscheinlich dafür.“
„Wofür? Weil ich ihnen beiden das Leben gerettet habe?“
Jonathan schüttelte den Kopf, plötzlich hoffte er, Dess würde nicht antworten. Er wünschte sich, dieses Gespräch hätte nie angefangen. Glücklicherweise lag die Ausfahrt direkt vor ihnen. „Vergiss, dass ich es erwähnt habe.“
Dess hörte aber nicht auf. „Rex meint, in den alten Zeiten hätten die Gedankenleser ihre Fähigkeiten richtig unter Kontrolle gehabt. Sie konnten Menschenansammlungen aushalten, sogar per Handschlag
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