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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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Teelöffel und rührte energisch in ihrer Teetasse. „Das hier ist eine temporale Kontorsion, und zwar die feinste in Bixby. Wie gesagt, zu meiner Zeit hatten wir Karten. Irgendwo muss hier auch eine herumliegen. Vielleicht magst du sie dir ansehen, meine Liebe.“ Sie stand auf und entfernte sich aus dem Zimmer, ihre Teetasse klapperte dabei auf der Untertasse.
    Dess stieß einen langen Seufzer aus und lehnte sich zurück, in ihrem Hirn ratterte es wieder. Sie zog den GPS-Empfänger aus der Tasche, um sich zu überzeugen, an welchem Punkt sie sich genau befand, in tröstlichen Zahlen statt mit Worten, gequirlt oder ungequirlt. Es dauerte nicht lange, bis die Koordinaten sie beruhigten, und schließlich ließ sie zu, dass ein Lächeln langsam über ihre Miene strich.
    Sie hatte ihre Entdeckung gemacht, und die war ziemlich abartig. Ihr Leben lang hatte es noch einen Midnighter geben, eine verborgene Überlebende einer vergangenen Generation, direkt vor ihren Nasen. Während sie alle blind durch die Gegend gestolpert waren, lebte hier mitten in der Stadt eine Zeitzeugin von Bixbys geheimer Geschichte.
    Es wurde Zeit, Fragen zu stellen. Wenn Rex hier wäre, würde er vorn anfangen wollen: Was war vor neunundvierzig Jahren geschehen? Warum hatte sie sich die ganze Zeit versteckt? Und wie war es ihr gelungen, so vollständig zu verschwinden? Ging sie wirklich niemals aus dem Haus?
    „Aha, da ist sie ja!“ Madeleines Stimme hallte durch das Haus. Es raschelte, dann folgte ein Schlag, als im Nebenzimmer etwas zu Boden fiel. Sie kehrte zurück, mit einer langen Papierrolle in der einen Hand, in der anderen klapperte die Teetasse auf der Untertasse. Mit einem zufriedenen Laut, setzte sie sich wieder, reichte Dess die Papierrolle und schenkte sich Tee nach.
    Als die Karte ausgerollt war, lösten sich die Fragen, die Dess hatte stellen wollen, in Luft auf. Vor ihr auf dem abgegriffenen Papier lag Bixby, aber nicht so, wie sie es von den Karten an der Tankstelle oder den Ölförderkarten ihres Vaters kannte. In verblasster Tinte und mit altertümlichen Verzierungen leuchtete hier das Netz der blauen Zeit, die Minuten und Sekunden ineinander verwoben in tote Zonen und Strudel. Das Muster, auf das die Koordinaten von Darkling Manor schließen ließen, war hier bis ins Detail aufgezeichnet. Diese Karte zeigte Bixby in der geheimen Stunde, das Bixby aus ihren Träumen.
    Dess fluchte leise, als ihr bewusst wurde, dass sie diese Linien und Wirbel und Muster kannte. „Sie haben mir das hier eingelesen, während ich schlief.“
    „Ich gehe davon aus, dass du in der Schule erstklassige Noten bekommst, junge Dame.“ Madeleine rührte lächelnd in ihrem Tee. „Wer das Offensichtliche gelegentlich überzeugend darstellen kann, wird stets belohnt.“
    Dess holte tief Luft. Eine Frage war vollständig beantwortet
    – die Frau konnte aus dieser toten Zone oder der temporalen Kontorsion heraus tatsächlich Gedanken lesen. Die Träume hatten sie zu dem GPS-Empfänger ihres Vaters geführt, und am Ende war dieses Haus in eindringlichen Farben entstanden.
    Wie ein Hund an der Leine war sie hierhergezerrt worden.
    „Sie wollten, dass ich Sie finde.“
    „Wäre mir lieber gewesen, wenn du früher gekommen wärst, aber in Anbetracht deiner fehlenden Bildung war vermutlich nicht mehr zu erwarten.“
    Dess’ Augen wurden zu schmalen Schlitzen. „Fehlende Bildung? Ich bin in Trigonometrie bei den Fortgeschrittenen!“

    Madeleine lächelte. „Das will ich für ein Universalgenie auch hoffen. Ich rede aber nicht von deiner Bildung an der Bixby Highschool, die sowieso ziemlich unangemessen ist. Ich meine euch alle, ihr armen Waisen, wie ihr euch durchbeißt, um die geheime Stunde zu verstehen.“ Sie hob die Tasse an ihre Lippen, als ihre Stimme versagte. „So allein.“
    Dess senkte den Blick vom Gesicht der Frau auf die Schrotthaufen im Umkreis des Teetischchens. Das Metall sah aus, als ob es eilig zusammengesammelt worden wäre, ohne Sinn und Verstand, aber nicht erst vor Kurzem. Rost verband die Teile miteinander, und eine Staubschicht überzog alle Oberflächen. Madeleine hielt sich hier schon eine Weile auf.
    Und, wie sie gesagt hatte, so allein.
    „Bleiben Sie immer … hier drin?“, fragte Dess.
    Die alte Frau lächelte vor sich hin. „Früher kam ich öfter vor die Tür. Bis Melissa geboren wurde, waren die Tage kein Problem, solange mich niemand erkannte.“ Sie kicherte. „Als ich jung war, hatte ich eine Perücke und eine

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