Das Echo aller Furcht
Ähnliches traf wohl auch auf die Moslems zu, denn dreihundert Jahre nach Mohammeds Tod hatten, wie es auch im Christentum der Fall gewesen war, eigennützige Opportunisten die Reihe der Frommen anschwellen lassen. Und in der Mitte saßen die Juden – zumindest jene, die nicht von den Römern in die Diaspora getrieben worden oder die heimlich zurückgekehrt waren. Sie hatten zu Anfang des zweiten Jahrtausends unter den Christen mehr zu leiden als unter den Moslems.
Israel ist wie ein Knochen, dachte Ryan, um den sich Rudel von hungrigen Hunden streiten.
Ganz war der Knochen aber nie zerstört worden, und die Rudel waren im Lauf der Jahrhunderte immer wieder zurückgekehrt, weil das Land historisch so wichtig war. Hunderte von bedeutsamen Figuren der Weltgeschichte waren hier gewesen, einschließlich Jesus Christus, in dem der Katholik Ryan den Sohn Gottes sah. Über diese Bedeutung hinaus symbolisierte diese schmale Landbrücke zwischen Kontinenten und Kulturen auch menschliche Gedanken, Ideale und Hoffnungen, die irgendwie im Sand und in den Steinen dieser selten reizlosen Landschaft, in der sich nur Skorpione heimisch fühlen konnten, ihren Ausdruck fanden. Es gab auf der Welt nur fünf große Religionen, von denen sich wiederum nur drei über ihr Ursprungsgebiet hinaus verbreitet hatten, und ausgerechnet diese drei waren nur wenige Meilen von der Stelle beheimatet, wo er jetzt stand.
Und deswegen bekriegen sie sich, dachte Ryan.
Eigentlich eine unglaubliche Blasphemie, überlegte er. Immerhin war der Monotheismus hier entstanden, bei den Juden zuerst, um dann von Christen und Moslems angenommen zu werden. Von hier aus hatte er sich durchgesetzt. Die Juden – der Begriff »das Volk Israel« kam ihm zu geschwollen vor – hatten ihren Glauben über Tausende von Jahren hinweg zäh gegen Animisten und Heiden verteidigt und dann ihre schwerste Prüfung ausgerechnet gegen jene Religionen bestehen müssen, die sich aus ihrer eigenen Idee des Einen Gottes entwickelt hatten. Ungerechterweise waren Religionskriege die barbarischsten aller Kriege. Wer im Namen Gottes kämpfte, konnte sich so gut wie alles leisten, denn der Feind kämpfte ja gegen Gott, und das war abscheulich und gräßlich. Gegen jene, die die Autorität des Allmächtigsten in Frage stellten, fühlte sich jeder Soldat als verlängerter Arm Gottes und führte hemmungslos das rächende Schwert. Wenn es um die Züchtigung der Feinde und Sünder ging, war jedes Mittel recht. Vergewaltigung, Plünderung, Mord – die niedrigsten Verbrechen waren dann nicht nur rechtmäßig, sondern eine heilige Pflicht. Es ging nicht darum, daß man für Greueltaten Sold erhielt, und man sündigte auch nicht, weil das Vergnügen bereitete – nein, man kämpfte in dem Bewußtsein, daß demjenigen, der Gott auf seiner Seite hat, alles erlaubt ist. Diese Überzeugung wurde noch über den Tod hinaus demonstriert, wie zum Beispiel bei den Kreuzrittern. Wer im Heiligen Land gedient hatte, wurde auf seinem Sarkophag mit gekreuzten Beinen dargestellt, um der Nachwelt zu bedeuten, daß er im Namen Gottes als Kreuzfahrer sein Schwert mit Kinderblut benetzt, Frauen vergewaltigt und alles gestohlen hatte, was nicht niet- und nagelfest war. Das galt übrigens für alle Parteien. Die Juden waren zwar meist die Opfer gewesen, hatten aber auch selbst das Schwert ergriffen, wenn sich die Gelegenheit bot; in ihren Tugenden und Lastern sind sich alle Menschen gleich.
Wie müssen das die Kerle genossen haben, dachte Jack deprimiert und sah, wie ein Verkehrspolizist an einer belebten Straßenecke einen Streit schlichtete. Es mußte damals doch auch wirklich gute Menschen gegeben haben, sagte er sich. Was taten sie? Was dachten sie? Und was hielt Gott von der ganzen Sache?
Ryan war aber kein Priester, Rabbi oder Imam, sondern ein hoher Geheimdienstoffizier, ein Instrument seines Landes, ein Beobachter und Berichterstatter. Er schaute sich weiter um und vergaß für den Augenblick die Geschichte.
Die Passanten waren in ihrer Kleidung auf die drückende Hitze eingestellt, und das Gewimmel erinnerte ihn an Manhattan. Viele hatten Transistorradios dabei. Er ging an einem Straßencafé vorbei, wo nicht weniger als zehn Leute die Nachrichten hörten. Jack mußte lächeln; dafür hatte er Verständnis. Er hatte im Auto immer einen Nachrichtensender eingestellt. Die Blicke der Menschen waren unruhig, und er erkannte erst nach ein paar Momenten, wie sehr man auf der Hut war, ganz wie seine
Weitere Kostenlose Bücher