Das Echo aller Furcht
Leibwächter nach Anzeichen von Gefahr Ausschau hielt. Ryan fand das nur vernünftig. Bislang waren Unruhen nach dem Zwischenfall auf dem Tempelberg ausgeblieben, aber man rechnete damit. Es überraschte Ryan nicht, daß die Menschen in seinem Blickfeld die weit größere Bedrohung der trügerischen Ruhe nicht erkannten. Kein Wunder, daß Israel so kurzsichtig war. Das Land, umgeben von Feinden, die es auslöschen wollten, hatte die Paranoia zur Kunstform und seine Sicherheit zur Obsession gemacht. Neunzehnhundert Jahre nach Massada und der Vertreibung waren die Juden auf der Flucht vor Unterdrückung und Völkermord in ihr Gelobtes Land zurückgekehrt... und hatten damit wieder Repressalien herausgefordert. Der Unterschied war nur, daß nun sie das Schwert hielten und wohl zu führen gelernt hatten, aber auch das war eine Sackgasse. Kriege sollten mit einem Frieden enden, aber Israels Kriege hatten nicht geendet, sondern nur aufgehört, oder sie waren nur unterbrochen worden. Der Frieden war für Israel immer nur eine Atempause gewesen, eine Zeit, in der man die Gefallenen beerdigte und neue Jahrgänge an der Waffe ausbildete. Die Juden, der Ausrottung durch die Christen knapp entronnen, gründeten ihre Existenz auf der Fähigkeit, islamische Staaten zu besiegen, die sich geschworen hatten, Hitlers Werk zu Ende zu führen. Und Gottes Meinung hatte sich wohl seit den Kreuzzügen nicht geändert. Bedauerlicherweise wurden nur im Alten Testament das Meer geteilt und die Sonne am Himmel fixiert. Heutzutage mußte der Mensch seine Probleme selbst lösen. Leider aber tat der Mensch nicht immer, was von ihm erwartet wurde. Thomas Morus beschrieb in Utopia einen Idealstaat, in dem alle moralisch handeln. Das Land Utopia liegt nirgendwo, dachte Ryan kopfschüttelnd und bog in eine von Häusern mit weißen Stuckfassaden gesäumte Straße ein.
»Tag, Dr. Ryan.«
Der Mann war Mitte Fünfzig, kleiner als Jack und untersetzter. Er hatte einen säuberlich gestutzten, graumelierten Vollbart und sah weniger wie ein Jude als wie ein Heerführer des Assyrerkönigs Sanherib aus. Hätte er nicht gelächelt, würde sich Ryan ohne John Clark an seiner Seite unbehaglich gefühlt haben.
»Tag, Avi. Schon sonderbar, Sie zur Abwechslung einmal hier zu treffen.«
General Abraham Ben Jakob war stellvertretender Direktor des israelischen Nachrichtendienstes Mossad und somit das, was Ryan für die CIA war. Avi, in Geheimdienstkreisen ein Schwergewicht, war bis 1968 Offizier bei den Fallschirmjägern gewesen und als Mann mit großer Erfahrung in Sondereinsätzen von Rafi Eitan entdeckt und zum Dienst geholt worden. Er war Ryan im Lauf der Jahre ein halbes dutzendmal begegnet, aber immer nur in Washington. Ryan respektierte Ben Jakob als Fachmann sehr, wußte aber nicht, was der General, der seine Gedanken und Gefühle geschickt zu verbergen wußte, von ihm hielt.
»Was hört man aus Washington, Jack?«
»Ich habe in der Botschaft CNN gesehen; mehr weiß ich auch nicht. Es gibt noch keine offizielle Reaktion, und falls eine existierte, dürfte ich mich nicht weiter äußern. Sie kennen die Vorschriften ja. Kann man hier irgendwo gut essen?«
Eine Mahlzeit war natürlich bereits eingeplant. Zwei Minuten später und hundert Meter weiter saßen sie im Hinterzimmer eines stillen Familienrestaurants, wo ihre Sicherheitsleute die Dinge im Auge behalten konnten, Ben Jakob bestellte zwei Heineken.
»Da, wo Sie als nächstes hinkommen, gibt es kein Bier.«
»Plump, Avi, sehr plump«, versetzte Ryan nach dem ersten Schluck.
»Wie ich höre, fliegen Sie an Aldens Stelle nach Riad.«
»Dazu habe ich wohl kaum die Kompetenz.«
»Immerhin werden Sie zugegen sein, wenn Adler den Vorschlag unterbreitet. Wir hätten gerne gewußt, was er enthält.«
»Dann können Sie sicher abwarten, bis er bekanntgegeben wird.«
»Ist eine kleine Vorschau nur so unter Profis denn ausgeschlossen?«
»Jawohl, ganz besonders unter Profis.« Jack trank sein Bier aus der Flasche. Nun stellte er fest, daß die Speisekarte in Hebräisch war. »Hm, da lasse ich Sie bestellen ... schade, daß Alden solchen Mist gebaut hat«, bemerkte er und fügte in Gedanken hinzu: Das sind die heißesten Kastanien, die ich je aus dem Feuer holen mußte.
»In der Tat bedauerlich«, erwiderte Ben Jakob. »Der Mann ist in meinem Alter! Weiß er denn nicht, daß reifere Frauen diskreter und geschickter sind?« Selbst dieses Thema handelte er in der Fachterminologie ab.
»Er hätte sich ja
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