Das Echo der Flüsterer
einen zum Wehrdienst einberufenen Angestellten seines Ausschusses, eigentlich nichts Großartiges, aber genug, um jemanden, dessen man längst überdrüssig war, endlich loszuwerden.
Kurz vor dem Ende der McCarthy-Ära erwischte es, wie erwähnt, auch meinen Großvater. Einem Handlanger des Großinquisitors waren wieder die kritischen Äußerungen des einstigen Generals Thomas Frederik McKenelley eingefallen. Der hatte die Flächenbombardements von Großstädten im letzten Krieg angeprangert. Da solche aber von der Militärführung beschlossen und damit irgendwie auch von Präsident Roosevelt abgesegnet worden waren, hätte es eigentlich überhaupt keinen Grund zu irgendeiner Beanstandung gegeben, meinte der Ankläger, es sei denn, das Nationalgefühl des Generals sei durch rote oder zumindest ›rosarote‹ Ansichten ›aus dem Gleichgewicht geraten‹. Großvater wehrte sich gegen die absurden Vorwürfe wie ein in die Enge getriebener Löwe. Mit Erfolg: Der politische Schiffbruch des Senators kam seiner Verurteilung zuvor.
Drei Jahre später, 1957, gerade siebenundvierzigjährig, starb der ›Erste Kommunistenjäger der Nation‹ und entzog sich so dem schmachvollen Versinken in der Bedeutungslosigkeit. Und in diesem Jahr begann ich erst wirklich die Umwelt mit meinen Augen wahrzunehmen.«
»Das klingt interessant. Was ist dir denn aufgefallen?«
»Ich war ja gerade erst zehn Jahre alt. Fast alles, was ich bisher erzählt habe, weiß ich von meinen Großeltern, aus Büchern und Zeitungen, manchmal auch aus dem Fernsehen. Aber weil Sie mich gefragt haben, woher ich komme, dachte ich, diese Dinge seien wichtig. Großvater meinte einmal zu mir, jeder Mensch habe mindestens drei Eltern.«
»Oh?«
Jonas nickte bedeutungsvoll. »Die Mutter, den Vater und die Zeit, in die er hineingeboren wurde.«
»Du scheinst mir für dein Alter ein recht kluger Keimling zu sein!«
Jonas sah den Greis verdutzt an.
»Du wolltest mir noch erzählen, was du erlebt hast, als du zehn Jahre alt warst.«
»Ja. Entschuldigung.« Jonas musste einen Augenblick überlegen.
»Ich bin, wie man so sagt, als ein Kind der Natur aufgewachsen. Meine Kinderstube waren die Everglades, ein riesiges Gebiet aus Sumpf und Wald…«
»Oh, tatsächlich? Du hast vor nicht allzu langer Zeit eine kranke Blume geheilt und später so zärtlich die Blätter gestreichelt, als du durch den Wald geritten bist. Magst du Bäume?«
»Ja, sehr! Sie sind so groß und… stämmig. Ich stelle mir immer vor, was so ein alter Baum schon alles erlebt haben muss. Solange ich denken kann, haben es mir aber vor allem die Tiere angetan. Und die vielen Warums: Warum sind die Alligatoren zu bestimmten Zeiten angriffslustiger als zu anderen? Warum drehen sich Wirbelstürme auf der nördlichen Erdhalbkugel entgegen dem Uhrzeigersinn, auf der südlichen dagegen rechtsherum? Warum fallen Satelliten nicht herunter (jedenfalls nicht so schnell)?
Das, vor allem das war die Frage, die mich 1957 interessierte. Die Sowjetunion hatte mit ihrem Sputnik den ersten Satelliten in die Erdumlaufbahn katapultiert. Das amerikanische Volk schrie auf, nicht weil es fürchtete, der russische Satellit könne ihm auf den Kopf fallen, sondern weil doch die Vereinigten Staaten die fortschrittlichste Nation der Welt waren. Warum konnten die Russen sich auch an keine Regel halten? Ich spürte in diesen Tagen die Enttäuschung meiner Klassenkameraden in der Schule, etwa wenn sie versuchten wiederzugeben, was sie zuvor im Fernsehen (manche auch von ihren Eltern) gehört hatten. Aber es fiel mir schwer, ihre Gefühle nachzuvollziehen. Was die Sowjets da vollbracht hatten, stellte doch eine technische Meisterleistung dar! Das Einzige, was ich bedauerte, war, dass der Sputnik schon nach zweiundneunzig Tagen seinen Geist aufgab.
Als Juri Gagarin dann am 12. April 1961 als erster Mensch in einer Raumkapsel die Erde umkreiste, war für viele Amerikaner das Maß voll. ›Schon wieder ein Russe!‹, schrien die Leute empört. Selbst mir war damals klar, weshalb meine Landsleute den drögen General Eisenhower nicht länger als Präsidenten haben wollten und stattdessen lieber John F. Kennedy wählten. Als die NASA-Leute dem beinahe siebzigjährigen General den Vorschlag gemacht hatten eine bemannte Rakete zum Mond zu schicken, hatte Eisenhower nur gemeint, die Kosten von vierunddreißig oder vielleicht sogar sechsundvierzig Milliarden Dollar ›würden nicht genug wissenschaftliche Erkenntnisse erbringen, um
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