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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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vergangen.
    In den letzten beiden Wochen hatte er erlebt, wie das Bild von seinem Land und dem Präsidenten Stück für Stück demontiert worden war. Gerade eben hatte Ximon einen weiteren Stein aus diesem falschen Mosaik entfernt.
    Jemand stieß Jonas sanft in die Seite. Als er sich umwandte, blickte er in zwei große gelbe Augen.
    »Minuq!«
    Der Leitwolf war seit dem Angriff des Gorrmacks immer in Jonas’ Nähe gewesen, hatte sich aber scheu aus allen Gesprächen der Kleinen und der Menschen herausgehalten. Jetzt lag erneut dieser Ausdruck in seinem pelzigen Gesicht, von dem Jonas überzeugt war, dass es nur ein Lächeln sein konnte.
    »Es wird Zeit für mich zu gehen, Jonas.«
    »Kannst du nicht noch einen Tag bleiben? Morgen werden wir ja sowieso von hier abreisen.«
    »Ich habe mein Rudel schon viel zu lange allein gelassen.«
    Jonas nickte betrübt. Er wusste, dass er seinen grauen Freund nicht länger zurückhalten durfte. Traurig begleitete er ihn bis vor die Stadt. Nur Kraark war noch bei ihnen. Wie immer, wenn sich die Gelegenheit bot, ritt er auf Minuqs Rücken.
    Noch einmal tauschten die ungleichen Freunde Segenswünsche aus, noch ein letztes, ein allerletztes Mal umarmte Jonas den großen Wolf. Dann drehte sich Minuq um und trabte, ohne noch irgendetwas zu sagen, in Richtung des Großen Waldes davon. Als sein zu einem Punkt geschrumpfter Körper endgültig am Horizont verschwunden war, wusste Jonas, dass er diesen Gefährten niemals wieder sehen würde.
     
     
    Etwa eine Stunde später betrat Jonas mit dem Raben auf der Schulter Nabins Haus. Es herrschte rege Geschäftigkeit. Der Oberälteste wollte sich offenbar nicht vorwerfen lassen, er habe seine Gäste mit leeren Händen davonziehen lassen. Vermutlich würden sie die Hälfte von dem Proviant und der übrigen Ausrüstung hinter der Stadtgrenze fortwerfen müssen, um
    sich nicht unnötig mit Geschenken zu belasten, durch die Kalvar sich seine Freiheit zurückerkaufen wollte.
    »Hier sieht’s ja schlimmer aus als in Syrdas Schneckenhaus«, krächzte Kraark belustigt.
    Ohne darauf einzugehen, fragte Jonas: »Kannst du Numin irgendwo entdecken?«
    Der Rabe verneinte. Von dem Sohn des Oberältesten war nichts zu sehen. Entweder war er von seinem Vater in einen tiefen Kerker gesteckt worden, damit er seine Drohung nicht wahr machen konnte, oder er hatte sich rechtzeitig abgesetzt, um dem elterlichen Zugriff zu entgehen.
    Als Jonas und sein gefiederter Freund um die Mittagszeit in Nabins Arbeitszimmer kamen, fanden sie das bekannte Bild vor: Menschen und Bonkas saßen im Halbdunkel einmütig um Keldins Spiegel herum und blickten auf eine Schar streitender Männer.
    Darina ging Jonas entgegen und flüsterte ihm in sicherem Abstand vom Spiegel die neuesten Informationen zu.
    Neue U-2-Luftaufnahmen hatten Experten zu dem Schluss kommen lassen, dass mindestens die Hälfte der nuklearen Sprengkraft der weit reichenden Sowjetraketen nach Kuba verlagert würde. Da nach den Fotos angeblich die Raketen auf bestimmte amerikanische Städte gerichtet werden sollten, sei im Ernstfall mit achtzig Millionen toten Amerikanern zu rechnen. Deshalb forderten die Vereinigten Stabschefs nun auch einmütig und unverzüglich militärische Aktionen gegen Kuba. Die Idee vom »chirurgischen Luftangriff« hätten sie zu Gunsten einer umfassenderen Lösung aufgegeben, die auch eine breit angelegte Invasion Kubas mit einschloss. Robin sei es gelungen, dem Bruder des Präsidenten ins Gewissen zu reden, worauf dieser alle Anwesenden bat der »moralischen Frage« ein größeres Gewicht zu geben. Das sei der Stand der Dinge, schloss Darina ihren zusammenfassenden Bericht.
    Jonas nickte bedrückt und trat mit ihr an die Seite seines Vaters. Kennedys Kriegsrat tagte diesmal im Amtszimmer des Präsidenten, dem so genannten Oval Office. Auf Keldins Spiegel erläuterte gerade Arthur Lundahl, der Direktor des nationalen Zentrums für fotografische Auswertungen, einige weitere Details der neuesten Luftaufnahmen.
    »Sieht aus wie ein Fußballfeld«, bemerkte Kennedy, während er nachdenklich auf das Foto blickte.
    Lundahl wirkte einen Augenblick verwirrt, fasste sich aber sogleich wieder und fuhr mit seinen Darlegungen fort.
    Wenig später ergriff General Curtis LeMay, der Luftwaffenstabschef, das Wort. Er legte dem Präsidenten seine Ansicht dar, ohne einen militärischen Angriff könne nichts erreicht werden. Auf die Frage Kennedys, wie man sich die unmittelbare Reaktion der Russen

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