Das Echo der Flüsterer
zutiefst und seien für ihn selbst Anlass zu großer Besorgnis. Gromyko betonte noch einmal, dass diese Hilfe für die Insel rein defensiven Charakter habe. Er wolle das Wort »defensiv« unterstreichen, meinte er, keine der gelieferten Waffen könnte jemals eine Bedrohung der Vereinigten Staaten darstellen.
Jonas hielt die Luft an. In Hollywood hätte Gromyko für seinen Auftritt glatt einen Oskar bekommen. Da Kennedy jedoch besser im Bilde war, als er den Außenminister wissen ließ, glaubte Jonas, der Präsident würde nun endlich die Katze aus dem Sack lassen. Doch Jack blieb beherrscht. Er entgegnete, der Herr Außenminister dürfe sich über die Position der Vereinigten Staaten keine falschen Vorstellungen machen.
Die Besprechung mit dem sowjetischen Außenminister hatte ungefähr zwei Stunden gedauert und Jonas war der festen Überzeugung, der Präsident sei nun endlich gar gekocht, bereit aus der Haut zu fahren. Doch nichts geschah.
Ximon und Robert war es nämlich gelungen, weitere Bedenken in die Köpfe von Kennedys Beratern zu pflanzen. Kurz vor neun Uhr abends saß Bobby, der Justizminister, gerade mit
CIA-Chef John McCone, General Maxwell Taylor und sechs weiteren Männern im Außenministerium zusammen. Er hatte mit Nachdruck die »moralische Frage« angesprochen: Ein Land wie die Vereinigten Staaten könne nicht über eine kleine Insel herfallen, ohne dem eigenen Ansehen in der Welt dadurch empfindlichen Schaden zuzufügen. Die meisten der Anwesenden stimmten ihm zu und wollten nun die »Quarantäne«-Option McNamaras unterstützen.
Es war schon ein komisches Bild, als neun Minister und hoch gestellte Beamte sich um Viertel nach neun zusammen mit einem verdutzten Fahrer in eine schwarze Limousine zwängten und darin die kurze Strecke zum Weißen Haus zurücklegten. Wäre jeder in seinen eigenen Dienstwagen gestiegen, dann hätte die Autokolonne den immer wachsamen Reporteraugen nur neuen Stoff für Spekulationen geliefert. Für den Weltfrieden konnte man ruhig einmal eine kleine Unbequemlichkeit in Kauf nehmen.
Als kurz darauf das Exekutivkomitee unter Vorsitz des Präsidenten seine Nachtsitzung eröffnete, atmeten die Flüsterer zunächst erleichtert auf. Kennedy vernahm, durchaus nicht unzufrieden, was sein Kriegsrat beschlossen hatte: Eine Seeblockade musste her. Sobald er dann allerdings nach Details fragte, ergaben sich wie aus dem Nichts neue Unstimmigkeiten. Ungläubig hörte Jonas mit an, wie Männer, die zuvor noch einen festen Standpunkt eingenommen hatten, jetzt gegenüber dem Präsidenten mit Nachdruck eine völlig entgegengesetzte Haltung propagierten.
Nicht nur der Präsident war über diesen Gang der Dinge mehr als unzufrieden. Er verabschiedete seinen Kriegsrat mit dem Auftrag, die verschiedenen Erwägungen fortzuführen und ihm dann einen gemeinsamen Beschluss vorzutragen. Er selbst wolle – um jedes Aufsehen zu vermeiden – seinem üblichen Programm nachgehen.
In Präsident Kennedys Kalender stand für die kommenden Tage eine Wahlkampfreise.
KIMBAROTH
Die Stimmung der Bewohner von Kalvar war schwer einzuschätzen. Als Jonas zu den Häusern zurückblickte, winkten die Kleinen zwar, sie jubelten auch, aber er konnte nicht eindeutig feststellen, ob ihre Begeisterung Bergalfs Heldentat galt oder einfach dem Umstand einen unbequemen Gast endlich aus der Stadt hinausgegrault zu haben.
Numin ritt an Darinas Seite. Er war am Morgen aufgetaucht und hatte sich wie selbstverständlich zur Reisegruppe gesellt. Jonas vermutete, dass es in der vorangegangenen Nacht ein sehr langes Gespräch zwischen Vater und Sohn gegeben hatte. Jedenfalls schwankte Nabin zwischen Gefasstheit und Melancholie. Numins Mutter weinte ganze Bäche von Tränen.
Nachdenklich hielt Jonas seinen Dolch in der Hand. Er steckte in einer nagelneuen Scheide. Das war auch der Grund gewesen, weshalb Numin am vergangenen Tag nur von wenigen gesichtet worden war. Er hatte sich Größe und Form des Kristallstiletts genau eingeprägt und dafür eine wunderbare Hülle aus einem Material hergestellt, das er »Kohlefaser« nannte. Jonas konnte sich zwar nicht vorstellen, dass man aus Kohle Stoff weben konnte, aber das Material war auf jeden Fall kohlrabenschwarz (hinterließ jedoch keine dunklen Flecken auf den Fingern). Er kam zu dem Schluss, dass dieses erstaunlich leichte und zugleich widerstandsfähige Gewebe wohl nur dem Namen nach etwas mit Kohle zu tun hatte. Jedenfalls war Numin die Überraschung
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