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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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vorzustellen habe, versicherte ihm General LeMay, dass keinerlei Handeln von sowjetischer Seite erfolgen werde. Jonas glaubte, er höre nicht richtig. Er musste an den Armeegeneral Issa Plijew und seine Luna-Raketen denken.
    Zum Glück war auch Jack Kennedy skeptisch, was den Glauben LeMays an die Schläfrigkeit des russischen Bären betraf. »Die Russen sind genauso wie wir zum Handeln gezwungen. Nach all ihren Erklärungen können sie uns nicht ihre Raketen beseitigen und zahllose Russen töten lassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Wenn sie nicht in Kuba zum Gegenschlag ausholen, wird es zweifellos in Berlin sein.« Gleichwohl gab der Präsident seinem General Recht, dass die Vereinigten Staaten sich nicht an die Wand drücken lassen durften.
    General David M. Shoup, der Befehlshaber des Marineinfanteriekorps, fühlte sich bewogen auszusprechen, was offenbar die meisten im Raum dachten. »Sie stecken in einer bösen Klemme, Mr. President.«
    »Und Sie stecken mit drin«, antwortete Kennedy wie aus der Pistole geschossen.
    Alle lachten. Doch selbst bis nach Azon war zu spüren, dass diese Heiterkeit nicht echt war. Sie sollte nur die Angst vertreiben, die jedem im Oval Office im Nacken saß.
    Auch an diesem Tag brachte das Exekutivkomitee keine Entscheidung zustande. Kennedy verwies seine Recken in die Arbeitsgruppen. Er wollte genau wissen, wie man die vom Verteidigungsminister angebotenen Optionen umsetzen musste
    und womit man zu rechnen hatte, würde man sie wirklich in die Tat umsetzen.
    Das Mittagessen wurde in Nabins Arbeitszimmer eingenommen. Längst hatte sich auf Azon ein anderer Krisenstab gebildet, der mit offenbar viel zu knapp bemessenen Mitteln um eine Beruhigung der Krise kämpfte. Niemand hatte großen Hunger. Lustlos kaute man auf schmalen Obst- oder Gemüsestreifen, die Sarah wohlweislich hatte vorbereiten lassen, und verfolgte das weitere Geschehen an wechselnden Orten. Da, wo es nötig schien, sprachen Robert und Ximon leise Worte gegen den Kristall und meistens zeigten sich Erfolg versprechende Reaktionen. Doch die Situation blieb gespannt.
    Nachmittags, gegen halb vier teilte der Verteidigungsminister Robert McNamara dem Präsidenten mit, Flugzeuge, Besatzungen und Munition seien auf dem Weg in die Bereitstellungsräume, sodass am Dienstag, dem 23. Oktober, mit den nötigen Luftbombardements begonnen werden könne, falls der Präsident dies wünsche. Den Angriff einleiten sollten fünfhundert Einsätze gegen alle militärischen Ziele auf Kuba, wozu selbstverständlich die Raketenstellungen, aber auch Flugplätze, Häfen und die Küstenbatterien gehörten.
    Gegen fünf Uhr nachmittags, Kennedy befand sich gerade in einer angeregten Diskussion im Weißen Haus, wurde ein Besucher gemeldet, der zur Situation passte wie ein Zylinder zum Frack: Andrej Gromyko, der sowjetische Außenminister persönlich, gab sich die Ehre.
    Jonas hörte, wie Lischka mit den Zähnen knirschte. Er ahnte, dass dieser Besuch bestimmt nicht förderlich für die Stimmungslage eines Menschen war, der dazu neigte »forsch« und »rücksichtslos« zu sein.
    Wie sich schnell herausstellte, war der Besuch des Außenministers schon seit langem vereinbart gewesen. Kennedy hatte es wohl für unklug gehalten, ihn abzusagen. Mit versteinerter Miene lauschte der Präsident den Beteuerungen Gromykos, die an Kuba geleistete Hilfe diene einzig und allein dem Zweck die landwirtschaftliche Entwicklung der Insel zu fördern; außerdem würden in geringfügigem Maße Defensivwaffen geliefert. Die Unterstellungen der amerikanischen Presse, die Sowjetunion würde Offensivwaffen nach Kuba verschiffen, wies er entschieden zurück. Dafür erlaubte er sich seinerseits die Drohungen der Vereinigten Staaten gegen die Zuckerinsel anzuprangern. Sowohl Kuba als auch die Sowjetunion wünschten lediglich den Frieden. Chruschtschow habe ihn ausdrücklich beauftragt Präsident Kennedy und den Vereinigten Staaten eine Entspannung der Atmosphäre in Bezug auf Kuba anzubieten.
    Jack hörte dem Außenminister erstaunt zu, vielleicht bewunderte er auch die Kühnheit Gromykos. Jonas glaubte, der Präsident müsse jeden Augenblick explodieren, aber stattdessen erwiderte er bestimmt, aber in Anbetracht der Provokation äußerst beherrscht, dass nicht die Vereinigten Staaten Zwietracht schürten, sondern die Sowjetunion. Mit diplomatischer Eleganz versicherte er Gromyko, die Waffenlieferungen an Kuba beunruhigten die Bevölkerung der Vereinigten Staaten

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