Das Echo der Flüsterer
sollte der amerikanischen Nation in einer Fernsehansprache beibringen, dass die USA sich von der Sowjetunion niemals gegen das Schienbein treten lassen würden und daher eine »Quarantäne« Kubas unabdingbar sei.
Als die Dämmerung über dem Grasland aufzog und die Karawane der Flüsterer ihr Nachtlager aufschlug, war der Trauerzug längst in der Ferne verschwunden. Jonas blickte noch lange in die Richtung, wo der Horizont die Toten verschluckt hatte. Darinas Worte kamen ihm in den Sinn.
Sie alle konnten bald selbst im Haus des Todes schlafen. Doch wenn sie tief im Innern der Hängenden Berge ihr Ende fänden, dann würde niemand da sein, der sie in die Juwelenschlucht trug.
Darina weckte ihre Gefährten, als die Morgendämmerung noch kaum zu erahnen war. Die häufigen Pausen hatten die Karawane während des zurückliegenden Tages mehr aufgehalten, als es der Wissenden lieb war. Sie wollte bis zur Mittagszeit den Eingang zu dem Höhlensystem gefunden haben, das zum Kimbaroth hinabführte, dem »Vorhang der ewigen Trennung«.
Zu so früher Stunde waren aus Keldins Spiegel noch keine Neuigkeiten von Kennedys Krisenstab zu erfahren. Die »Ritter der Tafelrunde« hatten sich am vergangenen Freitag bis spät in die Nacht hinein beraten. An diesem Samstag, dem 20. Oktober, gab es nur wenige Unermüdliche, die schon wach waren oder ohnehin kaum geschlafen hatten. Als daher das Lager abgebrochen wurde und sich kurz darauf die Karawane wieder in Bewegung setzte, trugen Menschen wie Bonkas schwer an der Ungewissheit des kommenden Tages. Welche Entscheidung würde Präsident Kennedy treffen, wenn das Exekutivkomitee ihm das Ergebnis seiner Beratungen mitteilte? Die Männer hatten neben ihrem Vorschlag einer Seeblockade auch die Pläne für einen militärischen Einsatz weiter vorangetrieben. Und welche Gefahren würden die Gefährten auf Azon erwarten?
Als sie den Canon erreichten, begann Jonas zu ahnen, welche Schwierigkeiten ihnen allen noch bevorstanden. Der breite Graben war unfassbar groß. Jonas hatte Bilder vom Grand Canon gesehen und viel darüber gelesen, doch was er hier nun mit eigenen Augen erblickte, stellte das irdische Naturwunder bei weitem in den Schatten.
Die Juwelenschlucht erstreckte sich nach beiden Seiten, so weit das Auge reichte. Gleichzeitig war sie mindestens vier, wenn nicht gar fünf Meilen breit. Jonas erinnerte sich an die schmale Schlucht, die er beim Betreten des Zwielandes überquert hatte. Kaum vorzustellen, dass dieselbe Erdspalte sich bis hierher so enorm ausgeweitet hatte.
»Von Kanthelm und dem Gorrmack fehlt jede Spur«, bemerkte Bergalf. Er hielt seinen Bilm in der Hand. Nur Darinas goldenes Leuchten war darin zu erkennen.
»Der Höhleneingang muss irgendwo da unten sein«, sagte die Wissende. Sie saß auf ihrem weißen Hirsch und sah gelassen in die Tiefe.
Jonas folgte ihrem Blick, immer weiter hinab, bis ihm fast schwindelig wurde. Der Grund des Canons verbarg sich unter einer Nebel- oder Wolkenschicht, aus der hier und da schmale Felsnadeln hervorragten wie Masten versunkener Schiffe aus dem Meer. Jonas riss sich von dem beängstigenden Abgrund los und schaute Darina verstört an.
»Hast du eben ›irgendwo‹ gesagt?«
»Wir werden danach suchen müssen, Jonas.«
»Aber die Wände dieser Schlucht sehen mir nicht gerade wie gemütliche Spazierpfade aus und außerdem ist da noch dieser Nebel. Wir werden wie blind in den Wolken herumstochern, Darina!«
»Im Spiegellabyrinth konnten wir auch nicht sehr weit sehen.«
»Ja, da habt ihr mich ja auch verloren.«
»Diesmal passen wir besser auf«, versprach Bergalf, der sein Schelpin zuletzt an den Rand der Schlucht gelenkt hatte.
Jonas sah ihn mürrisch an. Der Fährtensucher grinste, als freue er sich grenzenlos endlich wieder über schlüpfrige Geröllpfade reiten zu dürfen. »Wenn ich in die Tiefe stürze, mache ich dich persönlich dafür verantwortlich, Bergalf.«
»Abgemacht. Aber das wird nicht passieren. Dazu ist dein Trojan viel zu geübt im Bergsteigen.«
Bevor Jonas’ treues Schelpin Gelegenheit bekam sein Geschick unter Beweis zu stellen, wurde eine Pause abgehalten. Mangaar brutzelte mit Sarahs Hilfe in der Pfanne ein zweites Frühstück. Es bestand aus gebratenen Gemüsestreifen und geröstetem Brot. Numins Vater hatte die Proviantsäcke offenbar mit allem ausgestattet, was die Speisekammern Kalvars nur hergaben.
Ximon rief währenddessen das Bild des präsidialen Kriegsrates auf den Spiegel. Es war
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