Das Echo der Flüsterer
Gefechtsköpfe. Die geheimen Beobachter der Vereinigten Staaten hatten nicht mit Sicherheit feststellen können, ob sich tatsächlich schon atomare Raketenköpfe auf Kuba befanden, die stillen Zuschauer auf Azon wussten es besser: Zwanzig dieser zerstörerischen Sprengköpfe lagerten schon auf der Insel, gut versteckt vor den Objektiven der U-2-Aufklärer.
Als Jonas von den neuesten Beobachtungen der Flüsterer erfuhr, reagierte er merkwürdig. Er atmete erleichtert auf. »Jetzt wissen die Vereinigten Staaten, dass die sowjetischen Truppen auf Kuba zurückschlagen können, wenn die Insel angegriffen wird.«
Sein Vater rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ich würde mich nicht zu früh freuen, Jonas. Die Vereinigten Stabschefs scheinen ganz versessen darauf, doch noch ihre Waffen einzusetzen. Manchmal habe ich den Eindruck, sie wollen nur Krieg anfangen, damit sie eine neue Strategie ausprobieren oder ihre jüngste Errungenschaft aus der Waffenkammer testen können.«
»Du könntest mir ruhig die Vorfreude gönnen mal eine Nacht ruhig zu schlafen, Dad.«
Robert fuhr mit den Fingern besorgt durch die Haare seines Sohnes. »Ist es wirklich so schlimm?«
Jonas seufzte. Und dann brach es jäh aus ihm heraus. »Ich sage mir immer, dass ich mir nur was vormache, dass uns hier auf Azon wahrscheinlich sowieso nichts passieren kann. Aber ich habe trotzdem Angst, Dad. Denk doch nur an Großvater und Großmutter! Sie sitzen in Muddy Creek. Viel näher an den kubanischen Raketenstellungen kann ein Amerikaner sein Haus ja kaum haben. Ich weiß noch, wie wir im Frühjahr in der Schule mit diesen Zivilschutzübungen angefangen haben. Jeden Monat hat es einen Probealarm gegeben. Wir mussten uns auf den Boden fallen lassen und unter die Tische rollen – als ob das was nützen würde! Ich wünschte wirklich, Chruschtschow oder Kennedy, einer von den beiden würde einfach nachgeben. Ist doch egal, wenn er nachher wie der Dumme dasteht. Für mich wäre er ein Held, weil er den Menschen das Leben gerettet hat.«
»Ich fürchte, diese Männer sehen das leider etwas anders.«
Jonas nickte und ließ den Kopf hängen. »Vielleicht werden sie ja doch vernünftig, jetzt, wo sie wissen, dass die Russen zurückschießen können.«
»Möglicherweise.« Robert nahm seinen Sohn in die Arme und klopfte ihm aufmunternd den Rücken. »Wie weit bist du mit Bergalf gekommen, Jonas?«
»Er ist gleich an der Einmündung zur Nachbarhöhle. Mangaar hat mich beim Halten der Fackel abgelöst.«
»Dann ruh dich jetzt ein bisschen aus. Es ist schon weit nach Mitternacht. Wir werden wohl sowieso erst morgen früh durch den Vorhang hindurch sein.«
Jonas nickte. Er fühlte sich mit einem Mal sehr erschöpft. Dankbar, nicht alle Knoten des Kimbaroth allein lösen zu müssen, setzte er sich zu seiner Mutter, die leise mit Darina sprach. Bald rollte er seinen Schlaf sack aus, um es ein wenig bequemer zu haben. Und kurze Zeit später war er eingeschlafen.
Das Geräusch hatte wie das Klagen eines Wals geklungen.
Jonas fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch. Hatte er das nur geträumt? Es war ein tiefer, lang anhaltender Laut gewesen.
»Hast du das auch gehört?«, fragte er seine Mutter, die ebenfalls geschlafen hatte.
Sarah nickte. »Hoffentlich nicht schon wieder so ein Gorrmack.«
»Nein, das war kein Gorrmack«, meldete sich Darinas Stimme. Noch ehe sie ihre Antwort begründen konnte, eilte Bergalf aus dem Durchgang zur Nachbarhöhle herbei.
»Jonas, du bist wach. Das ist gut. Wir haben ein Problem.«
»Habt ihr auch das Geräusch gehört?«
Der Fährtensucher lächelte säuerlich. »Ich fürchte, das war meine Schuld.«
»Du…?«
Bergalf nickte. »Ich habe einen der Fäden verletzt…«
»Du hast ihn doch nicht etwa durchgeschnitten?«, fuhr Darina dazwischen.
Bergalf schüttelte schnell den Kopf. »Nein, nein. Ich bin nur mit dem Dolch abgerutscht und habe die Schnur etwas eingeritzt.«
»Du hast seit unserem Aufbruch gestern früh nicht mehr geschlafen, Bergalf. Es wäre wirklich gut, wenn Mangaar und du euch noch etwas ausruhten.«
»Nachher kann ich ja wieder an den Knoten weiterarbeiten«, fügte Jonas hinzu.
»Ich fürchte, allein an der Übermüdung liegt es nicht. Könntest du kurz mitkommen und dir die Sache ansehen, Jonas?«
»Natürlich.«
Auch die anderen Gefährten waren – sofern sie überhaupt geschlafen hatten – von dem Geräusch erwacht und hatten Bergalfs Schilderung mit sorgenvollen Mienen verfolgt.
Kraark
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