Das Echo der Flüsterer
nickte stumm. Eine Weile fummelte er vergeblich an dem Türgriff herum. Schließlich schob sich die Hand von Mat Barwinkle an ihm vorbei, packte entschlossen den Griff und zerrte mit einer sonderbaren Drehung nur einmal kurz daran – die Tür schwenkte quietschend auf. Der Alte zeigte grinsend seine Zahnlücke.
Als Jonas sicheren Boden unter den Füßen hatte, fiel ihm das Lächeln schon etwas leichter. »Vielen Dank fürs Mitnehmen, Mr. Barwinkle. Ich werde Großvater Ihren Gruß ausrichten, wenn Sie wollen.«
»Na klar doch«, antwortete der Bärtige, wobei er heftig nickte. »Kannst ihm sagen, dass der alte Mat wieder sein angestammtes Revier bezogen hat und gerne mal mit ihm über die alten Zeiten plaudern würde.«
Jonas blickte den Fahrer fragend an.
»Hab in Kuba geholfen die Criadero de cocodrilos aufzubauen und dem General ab und zu ‘n Tipp gegeben.« Barwinkle zuckte mit den Schultern. »Wie man sich eben so hilft.«
»Sie haben…?« Jonas hatte sich zwar über das erstaunliche Wissen des redseligen Alten gewundert, aber dass Barwinkle selbst an der Gründung einer der bedeutendsten Aufzuchtstationen beteiligt gewesen sein sollte, das verschlug ihm denn doch die Sprache.
»Mach dir nichts draus. Die Dinge sind oft anders, als sie scheinen«, tröstete Mat Barwinkle den entgeisterten Jungen. »Bin letztes Jahr im April zurückgekommen. Als Castro den CIA-Marionetten in der Schweinebucht die Fäden abgeschnitten hatte, konnte ich nicht länger bleiben. Ein US-Bürger in Kuba zu sein war plötzlich eine sehr ungesunde Sache. Blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Krokodilen Lebewohl zu sagen.« Für einen kurzen Moment flackerte Zorn in den dunklen Augen Barwinkles auf, dann aber bemerkte er lächelnd: »Ach übrigens: Es tut mir sehr Leid um deine Eltern. Aus welchem Grund auch immer du ausgerissen bist, es kann nich’ so schlimm sein, um nich’ zu deinen Großeltern zurückzukehren. Wie ich den General kenne, bricht es ihm das Herz, wenn du nich’ wieder auftauchst. Vielleicht kannste dich ja wenigstens mal bei ihm melden und sagen, dass es dir gut geht.« Mat Barwinkle verzog noch einmal das Gesicht – es war das Grinsen eines alten Fuchses, der am Ende alle anderen an der Nase herumgeführt hatte. »Muss jetzt weiter. Denk mal über meine Worte nach, Jonas.«
Die Tür schlug vor Jonas’ Augen zu, und im nächsten Moment war der Pick-up davongeröhrt. Zurück blieb nur eine blaue Benzinwolke und bei Jonas das unbestimmte Gefühl sich soeben grandios blamiert zu haben. Mat Barwinkle hatte sich nicht mal verabschiedet, gerade so, als ginge er davon aus, Jonas sowieso schon bald wieder zu sehen.
DER BLINDE PASSAGIER
Bei der Route 997 handelte es sich nicht unbedingt um eine Nebenstraße, aber im Moment schien sie wie ausgestorben zu sein. Es war kurz nach zwölf. Jonas sah zum Himmel hinauf. Im Vergleich zur Bruthitze der Fahrerkabine war es hier draußen zwar geradezu kühl, aber dennoch brannte die Mittagssonne unbarmherzig. Mehr als acht Stunden waren vergangen, seit er aus dem Fenster seines Zimmers geklettert war und sich in die Sümpfe geschlagen hatte. Acht lange Stunden! In der Nacht hatte er kaum ein Auge zugetan. Er fühlte, wie bleierne Müdigkeit in seine Glieder kroch. Sehnsüchtig blickte er sich nach einem schattigen Plätzchen um. Er brauchte nur einige Minuten Ruhe, dann würde es schon wieder gehen.
Die Straße, die wie mit dem Lineal gezogen nach Norden führte, bot einen trostlosen Anblick: Im Osten war nichts als Riedgras zu sehen, vom heißen Sommer gelblich braun verfärbt, und links neben Jonas befand sich der Flughafen. Sofern man diese Mischung aus Beton, gelben Grasbüscheln und Gestrüpp überhaupt so nennen durfte. Eine Dreiviertelmeile weiter nördlich lag eine Baracke, vermutlich der »Tower« dieses jämmerlichen Airports. Jonas überlegte, ob es dort für ihn eine Cola, ein Sandwich und einen bequemen Sessel zum Ausruhen gab. Er zweifelte daran. Zudem war das Gelände von einem Maschendrahtzaun umgeben – ungeladene Gäste schienen hier also unerwünscht zu sein.
Dann fiel sein Blick erneut auf den Hangar, der ganz in der Nähe stand. Es handelte sich bei ihm um eine eher kleine Halle, so um die dreißig Yards lang und fünfzehn oder zwanzig breit. Das Wellblechdach wölbte sich in einem weiten Bogen über dem rechteckigen Gebäude, die gesamte Fassade war übersät mit Rostflecken.
Jonas dachte nach. In der Blechhalle würde es
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