Das Echo der Flüsterer
wahrscheinlich auch nicht viel kühler sein als hier draußen, aber immerhin konnte er dort im Schatten sitzen. Er wollte ja nicht lange bleiben. In einer halben Stunde würde er sich dann auf die Beine machen und nach Norden marschieren. Irgendwann fand er bestimmt auch wieder einen Wagen, der ihn mitnahm.
Als hätte ihn etwas vom Zaun her gerufen, blickte Jonas sich mit einem Mal um. Seine Augen wanderten am Maschendraht entlang und blieben an einem wilden Brombeerstrauch hängen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, setzten sich seine Füße in Bewegung. Erst als die Dornen des Busches schmerzhaft in seine Haut stachen, blieb er stehen. Staunend blickte er auf das Loch, das hinter dem Gesträuch im Zaun klaffte.
Vielleicht war einmal ein Alligator hier durchgeschlüpft (keine Seltenheit in dieser Gegend), jedenfalls hatte man das Drahtgeflecht dicht über dem Boden auseinander gebogen. Einige der Drähte waren sogar gerissen – oder durchgezwickt? Jonas verharrte einen Moment unschlüssig. Warum war er so zielstrebig auf diese Stelle zugegangen? Er hatte doch unmöglich von dem Loch im Zaun wissen können. Noch einmal blickte er sich vorsichtig um. Dann zuckte er die Achseln und nahm schnell seinen Rucksack ab.
Zuerst schob er sein »Reisegepäck« unter dem Zaun hindurch, dann folgte er selbst nach. Erst als er sich auf der anderen Seite des Maschendrahts befand, bemerkte er die lange Schramme an seinem linken Arm. Vermutlich hatte er sich am Zaun verletzt. Oder an dem Brombeerstrauch, dessen stachelige Zweige sogar durch das Drahtgeflecht hindurchwuchsen. Plötzlich hörte er ein Geräusch.
Von Norden her näherte sich auf der Straße ein Fahrzeug. Schnell duckte er sich. Hinter dem Strauch würde man ihn von der Fahrbahn aus nicht sehen können. Er spähte vorsichtig an den Brombeerzweigen vorbei. Die Limousine war noch sehr weit entfernt, mindestens eine Meile, schätzte er. Es musste ein sehr großer Wagen sein, hellblau, mehr konnte er noch nicht erkennen.
Wenig später blieb der Wagen auf Höhe der Flugbaracke stehen. Jonas richtete sich etwas auf und blickte nach Norden. Er vermutete, dass irgendein gut betuchter Geschäftsmann in dem Auto saß. Soweit er wusste, wurde dieser Flugplatz ausschließlich von Sportfliegern und von Geschäftsreisenden benutzt, die sich eine Privatmaschine leisten konnten. Die kleinen, überwiegend einmotorigen Beechcrafts, Cessnas und Pipers standen in zwei Reihen dicht bei dem spartanisch wirkenden Flughafengebäude.
Obwohl Jonas aus einer Dreiviertelmeile hinter seinem Brombeerstrauch wohl nur schwer auszumachen war, hielt er doch den Atem an. Bestimmt würde gleich jemand aus der Baracke kommen, um die Limousine auf das Gelände zu lassen. Und wenn dieser Jemand – falls der Zufall es so wollte – dann genau in seine Richtung blickte…
Jonas mochte lieber nicht daran denken. Er machte sich so klein wie möglich und beobachtete, dicht an den Zaun gedrängt, das weitere Geschehen. Wie erwartet, kam ein Mann aus dem Gebäude, ging zum Zaun und öffnete das Tor. Der hellblaue Wagen rollte auf das Flughafengelände und blieb neben dem Holzgebäude stehen. Drei Männer stiegen aus und begrüßten denjenigen, der sie eingelassen hatte. Dann verschwanden alle in der Baracke.
Das Flugfeld wirkte nun wieder genauso verlassen wie zuvor. Jonas überlegte, ob er durch das Loch im Zaun zurückkriechen sollte. Auf der anderen Seite des Maschendrahtes würde ihn jeder nur für einen neugierigen Jungen halten, der nach Flugzeugen Ausschau hielt. Die Schramme auf seinem Arm brannte. Er war müde. Was war schon dabei, wenn er sich in dem Hangar eine Weile ausruhte und dann verschwand, wie er gekommen war? Schließlich hatte er sich ja nicht auf die Homestead Air Force Base geschlichen. Bei dem Gelände hier handelte es sich nicht um militärisches Sperrgebiet.
Als sich bei der Baracke nach einer Weile noch immer nichts getan hatte, nahm er allen Mut zusammen und rannte in geduckter Haltung auf den Hangar zu. An dessen Westseite befand sich ein großes, in der Mitte geteiltes Tor und daneben eine kleine Tür. Jonas zauderte nicht lange, sondern riss die Metalltür mit einem Ruck auf. Zum Glück war sie unverschlossen. Kaum drinnen, zog er sie wieder hinter sich zu.
Das Quietschen der Scharniere war erschreckend laut gewesen. Einen Moment lang blieb Jonas mit dem Türknauf in der Hand stehen und lauschte. Nichts geschah. Warum auch? Die Flugbaracke war viel zu weit entfernt, dort
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