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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hatte keinen Sinn – der Fahrer musste ihn schon gesehen haben. Wie eine wild gewordene Hornisse schoss der kleine Lastwagen laut brummend heran. Erste Einzelheiten waren nun zu erkennen. Der Wagen wirkte enorm schmutzig, besaß mehrere großflächige Dellen, und der Kotflügel vorne links war lose, was ihm ein gehöriges Eigenleben verlieh.
    Erst als das Fahrzeug an Jonas vorbeidonnerte, erwachte er aus seiner Erstarrung. Die Hand sank herab, der Daumen blieb abgespreizt. Für die Dauer eines Wimpernschlages hatte er im Fahrerhaus einen merkwürdigen Kopf gesehen, einem Kaktus mit borstigen, behaarten Kurztrieben nicht unähnlich. Jonas wollte schon aufatmen, weil er diesem klapprigen Gefährt und seinem seltsamen Fahrer offenbar entronnen war, da hörte er ein lautes Quietschen.
    Die Bremsen des Pick-ups schienen also noch zu funktionieren, einigermaßen jedenfalls. Das Fahrzeug schlingerte auf dem Asphalt, geriet mit den Rädern der rechten Seite auf das sandige Bankett und kam in einer gewaltigen Staubwolke zum Stehen.
    Entgeistert blickte Jonas auf die ungefähr zwanzig oder dreißig Yards entfernte Stelle, an der sich der fahrbare Schrotthaufen unter einem großen Sandwirbel befinden musste. Nur langsam trug der Wind die gelben Schwaden davon und ein kleines behaartes Männchen kam zum Vorschein, das sich undeutlich von der Fahrerkabine des Pick-ups abhob.
    »Wülste nu’ mitkommen oder nich’?«, knarrte eine ungeduldige Stimme.
    Jonas sah sich unsicher um, aber da gab es niemanden außer ihm und diesem sprechenden Kaktus.
    »Hast schon richtig gehört, Junge. Ich mein dich. Hab nich den ganzen Tag Zeit. Wennste also mitwillst, dann komm, wenn nich’, is’ mir auch egal.«
    Jonas wog das Für und Wider des Angebots ab. Er musste sich schnell entscheiden. Der Fahrer des Pick-ups wirkte nicht gerade wie der Idealtyp eines vertrauenswürdigen Versicherungsvertreters. Aber Jonas hatte Fremde noch nie nach allgemein gültigen Schönheitskriterien beurteilt. Diese Erscheinung hier erinnerte ihn entfernt an Albert Einstein (für Jonas durchaus ein Pluspunkt): Die Haare waren nicht ganz so grau wie die des genialen Physikers, standen aber genauso eigenwillig in die Höhe; der Bart bedeckte nicht nur die Oberlippe, sondern wucherte zudem im größten Teil des übrigen Gesichts, und die gebogene Nase ragte breit und eindrucksvoll aus diesem wolligen Beet. Das genaue Alter des Mannes war unmöglich zu schätzen, er hätte ebenso gut fünfundvierzig wie auch fünfundneunzig sein können.
    Ein letztes Mal ließ Jonas seinen Blick prüfend über die kleine, etwas krumme Gestalt in den blauen Jeanslatzhosen und dem rotschwarz karierten Hemd schweifen, dann hatte er seinen Entschluss gefasst: Der Alte mochte vielleicht etwas verschroben sein, aber gefährlich war er nicht.
    »Warten Sie, ich komme mit!«, rief Jonas und nahm die Beine in die Hand, weil sich der Fahrer des Pick-ups schon wieder anschickte in sein Gefährt zu steigen. Er erreichte den Wagen, als der bärtige Chauffeur gerade mit einem Knirschen den ersten Gang einlegte. Als Jonas auf den Sitz rutschte, glaubte er, ihn treffe der Schlag: In der Fahrerkabine war es heiß wie in einem Backofen.
    Der Pick-up holperte schon eine ganze Weile in Richtung Florida City, als der Alte endlich das Schweigen brach. »Mat. Mein Name ist Mat Barwinkle. Bist wohl nicht sehr gesprächig?«
    Jonas seufzte. Er schüttelte die trüben Gedanken ab, die seine Gehirnwindungen verstopft hatten, und sagte: »Ich heiße Jonas. Jonas McKenelley.«
    »Etwa der Sohn vom alten General, der, der ‘54 in Muddy Creek die Alligatorenfarm aufgemacht hat?«
    Jonas’ Kopf versank zwischen den Schultern. Vielleicht hätte er besser doch nicht in diesen rasenden Schrotthaufen einsteigen sollen. »Mein Großvater«, antwortete er knapp.
    »Ich kenne den alten Tom«, sagte Mat Barwinkle. In seiner Stimme lag Anerkennung. »Das mit der Farm war schon eine verrückte Idee – damals, meine ich.«
    »So verrückt nun auch wieder nicht.« Jonas hatte das Gefühl seinen Großvater verteidigen zu müssen. »Großvater hat in den letzten beiden Kriegsjahren die Einsätze der alliierten Bomberstaffeln über Bangkok geleitet. Nach dem Krieg ist er dann selbst nach Thailand gereist…« Jonas hielt inne. War es wirklich nötig, das alles zu erzählen? Sein Großvater, der angesehene General Thomas Frederik McKenelley, hatte schon während des Krieges eine immer stärkere Abneigung gegen »das große

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