Das Echo der Flüsterer
hatte man ihn bestimmt nicht gehört. Erleichtert drehte er sich um.
Im Hangar herrschte ein unwirkliches Zwielicht. Das Fensterband an der Nordseite war hoffnungslos verdreckt, es ließ allenfalls erahnen, wie hell es draußen wirklich war. Nur an dem Rollentor, das nach Westen zeigte, gab es einige Ritzen, durch welche die Sonne ihre Speere hindurchschleuderte. Feine Staubpartikel tanzten in dem gelben Licht.
Mitten in der Halle stand die merkwürdigste Flugmaschine, die Jonas je gesehen hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass dies ein Amphibienflugzeug sein musste. Es stand auf einem Fahrwerk, das vollständig in den bootsartigen Rumpf eingezogen werden konnte. Derlei Flugzeuge waren ihm nicht fremd. Die Küstenwache in Florida benutzte für ihre Rettungseinsätze auf hoher See vergleichbare Maschinen. Dieses Ding hier erinnerte allerdings mehr an das hässliche Entlein aus Andersens Märchenbüchern.
Das Flugzeug war ein Oldtimer, bestimmt zwanzig oder mehr Jahre alt. Seine Lackierung in Schwarz und Ockergelb glich derjenigen von teuren Nobellimousinen aus der Vorkriegszeit. Damit hörte aber auch schon die Eleganz auf. Der gedrungene Rumpf der Maschine wirkte eher plump. Jonas schätzte dessen Länge auf weniger als vierzig Fuß, die Flügelspannweite auf höchstens fünfzig. Wie bei Amphibienflugzeugen üblich befanden sich die Tragflächen über der Pilotenkanzel. Beiderseits der Kabine prangte je ein voluminöses Propellertriebwerk. Offenbar war dieses pummelige Ding doch ein recht flotter Brummer. Auf der Backbordseite des Hochdeckers entdeckte Jonas hinter einer Reihe von drei quadratischen Fenstern eine ungewöhnlich niedrige Einstiegsluke. Sie befand sich so hoch über dem Boden, dass man schon einen zirkusreifen Spagat machen musste, um den Fuß in diese Tür setzen zu können.
Kurzum: Der ganze komische Vogel erinnerte an ein dickliches Jungtier, das noch nicht recht flügge geworden war.
Nach drei oder vier Umrundungen spürte Jonas wieder die Mattigkeit, die ihn hierher getrieben hatte. Der Hangar wirkte, abgesehen von den erwähnten Fensterscheiben, sauber wie geleckt. Nichts stand herum. Überhaupt nichts. Vielleicht hätte ihn dieser Umstand misstrauisch machen sollen, aber Jonas war viel zu erschöpft, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er war überzeugt, in dem Flugzeug das Spielzeug irgendeines reichen Einwohners von Homestead vor sich zu haben.
Weil es an geeigneten Ruhemöbeln fehlte, stellte er kurzerhand seinen Rucksack an das linke Rad des vorderen Fahrwerks, legte sich davor auf den Boden und lehnte den Kopf gegen die Tasche. Diese Position war einigermaßen bequem und so glitt er bald ohne es recht zu merken in einen federleichten Dämmerzustand. Er pendelte zwischen Wachen und Träumen. Im Hangar herrschte vollkommene Stille. Nur das leise Ticken seiner Armbanduhr war zu hören: Ticktack…
Warum hatte er sich überhaupt auf diese verrückte Idee eingelassen? Ticktack…
Seltsamerweise bewegte ihn diese Frage kaum. Es war fast so, als sei er ein Fremder, der sie – ganz sachlich, völlig frei von verwirrenden Gefühlen – einem anderen Jonas McKenelley stellte. Ticktack…
Weshalb kehrst du nicht einfach um und machst deine Großeltern glücklich? Sie sorgen sich bestimmt schon schrecklich um dich. Warum, Jonas, bist du so, wie du bist? Einerseits ein ganz normaler Junge, wie alle in deiner Schulklasse, aber dann doch wieder ganz anders?
Ticktack, ticktack…
Ein Geräusch ließ Jonas hochschrecken. Er musste tatsächlich eingenickt sein. Draußen vor dem Hangar waren Stimmen zu hören. Sie wurden lauter, kamen näher. Im Nu war er auf den Beinen, raffte den Rucksack vom Boden auf und blickte um sich. Die Halle war so leer wie schon vor… Wie lange hatte er eigentlich geschlafen?
Es gab nur ein einziges Versteck: das Flugzeug. Jonas tauchte unter dem Flügel hindurch und öffnete schnell die Einstiegstür auf der Backbordseite. Die Luke befand sich über der Wasserlinie des Amphibienflugzeuges, was hier, an Land, eher hinderlich war. Für Jonas jedenfalls bedeutete dieser Umstand einige bange Sekunden. Dann zog er sich hastig hinauf. Während er noch mit den Beinen in der Luft hing, hörte er von draußen schon ein alarmierendes Klappern. Jemand machte sich an der Kette mit dem Vorhängeschloss zu schaffen.
Endlich war Jonas im Flugzeug. Hastig wirbelte er herum, verriegelte den Einstieg und schloss die Vorhänge am Türfenster bis auf einen
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