Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Schlachten« entwickelt, wie er es später meist nannte. Befehle zu großflächigen Bombardements geben zu müssen, die von vornherein auch den Tod unschuldiger Zivilisten bedeuteten, war ihm ein Gräuel geworden. Und da die McKenelleys schon immer mit ihrer Meinung schwer hinter dem Berg halten konnten, hatte man dem einstigen Kriegshelden bald nahe gelegt seinen Abschied zu nehmen. Vielleicht war es sein schlechtes Gewissen, möglicherweise auch der Wunsch in irgendeiner Form eine Wiedergutmachung zu leisten… Jonas wusste nicht genau, was seinen Großvater dazu bewogen hatte, Anfang 1946 nach Bangkok zu reisen, und er hatte auch keine Lust mit diesem Mat Barwinkle darüber Mutmaßungen anzustellen. Deshalb erwähnte er nur den einen Punkt, der ihm wichtig erschien, um die Bedeutung von Tom McKenelleys Arbeit hervorzuheben. »Jedenfalls ist er in Bangkok einem gewissen Utai Youngprapakorn begegnet, den Sie natürlich nicht kennen werden…«
    »Du meinst den Gründer der Samut-Prakarn-Farm?«
    Jonas sah Mat Barwinkle verblüfft an. »Haben Sie etwa auch mit Krokodilen oder Alligatoren zu tun?«
    »Hatte ich früher mal.«
    »Na, jedenfalls ist die thailändische Krokodilfarm von Youngprapakorn schon 1950 gegründet worden, vier Jahre, bevor mein Großvater hier begonnen hat sich mit Alligatoren zu beschäftigen! Die beiden sind übrigens gute Freunde geworden.«
    »Ich wollte auch nich’ sagen, dass die Idee, eine Alligatorenfarm aufzumachen, an sich verrückt is’. Nur haben damals die meisten ›Farmer‹ eher an Stiefel, Handtaschen und Hosengürtel gedacht, wenn’s um die Aufzucht von Alligatoren oder Krokodilen ging, und nich’ so sehr an das leibliche Wohlergehen der kantigen Tierchen.«
    »Es gibt viel zu viele, die das immer noch tun«, antwortete Jonas schnippisch. »Aber Utai Youngprapakorn und mein Großvater sind anders. Sie züchten die Alligatoren zur Arterhaltung, nicht wegen ihres Leders.«
    »Eben, das war ja das Verrückte. Übrigens sind dein edelmütiger Herr Großvater und sein thailändischer Freund nich’ die Einzigen, die ein Herz für Krokodile haben. Nur ungefähr zweihundertfünfzig Meilen von hier liegt eine Zuchtstation, die der Samut-Prakarn-Farm an Größe und Bedeutung in nichts nachsteht.«
    Dieser Mat Barwinkle schien ein alter Besserwisser zu sein. Eine Farm mit Tausenden von Krokodilen? In Jonas’ Kopf arbeitete es fieberhaft. In nur zweihundertfünfzig Meilen Entfernung? Das wäre nördlich von Orlando. Er konnte sich an keine so große Einrichtung in dieser Gegend erinnern. Also gab es dort auch keine.
    »Sie wollen sich nur wichtig machen«, sagte er im Brustton der Überzeugung.
    Mat Barwinkle hatte irgendwann seinen rechten oberen Eckzahn verloren, sein breites Grinsen enthüllte diesen Makel. »Schon mal was von Criadero de cocodrilos gehört?«
    Jonas hatte. Die erwähnte Krokodilfarm lag am Rande der Zapatasümpfe, westlich von Cienfuegos. Auf Kuba! Das war tatsächlich nur zweihundertfünfzig Meilen von dieser klapprigen Rostlaube entfernt, in der er gerade steckte – allerdings in südlicher Richtung. Jonas wäre vor Scham am liebsten im Sitz versunken.
    »Das ist übrigens auf Kuba«, fügte Mat Barwinkle freundlich hinzu.
    Diese Bemerkung war zu viel für Jonas. Dieser geschwätzige Schlauberger behandelte ihn wie einen Dummkopf! Es gab so viele nette alte Leute… Warum konnte dieser Wichtigtuer hier nicht sein wie sie? Jonas wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als neben dem echten Albert Einstein zu sitzen und nicht bloß neben seiner bizarren Karikatur. Aber dann wurde er sich schmerzlich bewusst, dass Einstein schon seit über sieben Jahren tot war. Er blickte wütend zu dem Fahrer hinüber, dessen Ähnlichkeit mit dem begnadeten Physiker zweifellos nur rein äußerlich war. Mat Barwinkle schmunzelte aufreizend gut gelaunt. Jonas verschränkte die Arme vor der Brust und ärgerte sich.
    Der Ford Pick-up flog klappernd über die State Road nach Osten. Seine Insassen schwiegen nachdrücklich.
    Einige Minuten später versuchte Mat Barwinkle erneut, Jonas aus der Reserve zu locken.
    »Bist wohl von zu Hause ausgerissen, was?« Die Frage klang eher wie eine Feststellung. Barwinkles Augen konzentrierten sich durch die schmutzige Windschutzscheibe hindurch auf die Straße, die knorrigen Hände umklammerten das große Lenkrad.
    Jonas sah den Alten von der Seite an, muckte sich aber nicht. War es denn wirklich so leicht, ihn zu durchschauen?

Weitere Kostenlose Bücher