Das Echo der Flüsterer
Nacht in tausenden von zarten Farben, als der Rat im Kristallsaal des Muschelpalastes zusammentrat.
Krem, Belkans Diener und rechte Hand, hatte allen ortsfremden Gästen geräumige Zimmer zugewiesen. Erfrischt hatte man kurz darauf ein gemeinsames Abendessen zu sich genommen. Nun blickte Jonas in zahlreiche Gesichter, die ihre Ungeduld nur schwer verbergen konnten.
Auf Wunsch Darinas, Ximons und Lischkas hatte man einige weitere Bonkas zu der außerordentlichen Sitzung eingeladen. Die meisten dieser zusätzlichen Teilnehmer waren Flüsterer. Leider war Tamakh nicht wie Goldan auf wundersame Weise in die Farbenstadt zurückgekehrt. Schweren Herzens hatte man einen neuen Flüsterer in die Aufgaben des kleinen stillen Mannes eingeführt. Die Abteilung der Moskitoinsel wurde nun von einem quirligen kleinen Wirbelwind geleitet, der auf den Namen Quitu hörte. Von der Statur her hatte Quitu viel mit seinem Vorgänger gemein, aber es sollte sich schnell herausstellen, dass er mit der Zunge mindestens ebenso flink war wie mit den Beinen. Im Verlauf der Sitzung sprang er mehrmals von seinem Stuhl auf und lief scheinbar ziellos durch den Kristallsaal. Denn wenn er redete, tat er das mit Vorliebe im Gehen. Quitu hatte braungrünes Haar und leuchtend grüne Augen. Sie funkelten beinahe ebenso intensiv wie diejenigen Numins. Der lebhafte kleine Flüsterer war ein guter Freund Tamakhs gewesen und kannte sich hervorragend mit den einflussreichen Leuten Kubas aus.
Die ersten drei Stunden waren ganz den Geschichten der Reisenden gewidmet. Alle lauschten gebannt Darinas und Jonas’ Erzählungen, Roberts und Sarahs Lebensbericht, Numins Zwielandschilderung und zuletzt Goldans Abriss seiner Rückkehr nach Laomar.
»Das nenne ich einen glücklichen Zufall«, freute sich Bergalf.
»Vielleicht war es gar kein so großer Zufall«, bemerkte der Wächter. »An einem Ort, wo Azons Gestalt so stark verformt ist, dass man es mit bloßem Auge erkennen kann, müssen naturgemäß auch Facetten vorkommen. Leider ist es mir erst zu spät eingefallen, in den Bilm zu sehen. Ihr wärt sicher sehr viel beruhigter weitergezogen, wenn euch zum Abschied ein ›halbierter‹ Goldan aus der Facette heraus zugewunken hätte.«
»Du sagtest vorhin, glaube ich, du seist ›am Rande der Spiegelregion‹ herausgekommen. Was hast du damit gemeint?«
»Die Facette, durch die ich gestiegen bin, mündete in einen Außenbereich der Spiegelregion. Dort war es verhältnismäßig ruhig, sieht man einmal von einem Elefanten ab, der mich beinahe platt gewalzt hätte. Jedenfalls haben mich keine Kristallungetüme gejagt, als ich zum Ausgang der Spiegelregion wanderte.«
Nachdem nun alle auf dem gleichen Kenntnisstand waren, betonte Darina noch einmal die große Gefahr, in der sich die Menschen befanden.
»Die Moskitokrise ist ernster als zu dem Zeitpunkt, an dem wir aufgebrochen sind«, fasste Ximon abschließend zusammen. »Heute früh sahen wir im Spiegel, wie der amerikanische Präsident sich für eine weniger kriegerische Option entschieden hat. Das heißt jedoch nicht, dass wir die Krise schon überstanden haben.«
»Darf ich nach dem Grund deines Argwohns fragen?«, erkundigte sich Belkan.
»Ganz einfach«, antwortete Lischka an Ximons statt (zwischen den beiden Flüsterern war während der Reise eine enge Freundschaft entstanden). »Wenn der Präsident morgen Abend seine Fernsehansprache hält, wird in der Höhle des Bären bereits bekannt sein, was der Adler vorhat. Von diesem Moment an wächst die Anzahl der Menschen, die uns Probleme machen können, sprunghaft an. Selbst mit Keldins Spiegel wird es schwierig sein, alle Personen zu beobachten und ihnen, wenn nötig, einige mäßigende Worte zuzuflüstern.«
Belkan nickte. »Ihr denkt also, wir sollten alle Anstrengungen auf die Bewältigung dieser bedrohlichen Lage verwenden?«
Ximon, Lischka und auch alle anderen Rückkehrer waren sich in diesem Punkt einig. Die Ältesten des Rats stimmten dem Plan ebenfalls zu.
»Gut, dann sollen ab sofort sämtliche Flüsterer daran arbeiten, das Schiff ›Erde‹ wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Am besten, wir beraten zunächst darüber, welche…«
Ein lautes Klopfen ließ Belkan innehalten. Gleich darauf wurde die Tür zum Kristallsaal aufgerissen und der hagere Krem erschien im Rahmen.
»Verzeih bitte, Belkan, aber es ist schon wieder dieser Rabe.«
»Schon gut«, sagte Kraark und spazierte über den Boden auf Syrda zu. »Sag dem dürren Stängel,
Weitere Kostenlose Bücher