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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Angebote vor. Wir ziehen unsere Raketen ab, ohne Bedingungen. Bevor Kennedys Rede am Mittag in Washington ausgestrahlt wird, muss die Welt unser Friedensangebot kennen. Verfassen Sie sofort eine Nachricht für den Rundfunk. Es ist jetzt«, Chruschtschow sah auf seine Uhr, »bald drei. Bis zu Kennedys Rede sind es noch fünf Stunden. Wenn unsere Nachricht, sagen wir, um sechs Uhr Moskauer Zeit über den Äther geht, dann hat der Präsident noch zwei Stunden, um darauf zu reagieren. Lassen Sie sicherheitshalber unseren Botschafter in Washington den Beschluss vorab übermitteln.«
    »Aber Genosse Generalsekretär«, wandte Sharif Raschidow, ein Mitglied des Präsidiums ein, »gleich beginnt der Berufsverkehr. Es ist unmöglich, rechtzeitig von Nowo Ogarewo bis zum staatlichen Rundfunkkomitee zu kommen.«
    Chruschtschow funkelte Raschidow an und schnaubte: »Alles ist möglich. Man muss es nur versuchen.«
    Jonas konnte es einfach nicht fassen. War das endlich das Ende der Krise? Chruschtschow hatte wie ein unterlegener Wolf den Schwanz eingezogen, ohne auch noch ein einziges Mal zu knurren. Jonas erinnerte sich an ein Ereignis, das schon vier Tage zurücklag und überhaupt nichts mit der Raketenkrise zu tun hatte. Was hatte Kraark damals gesagt? Der Klügere gibt nach. Wer war nun in dieser katastrophalen Weltsituation der Dumme? Kennedy, der nie den Kopf eingezogen und bis an den Rand der globalen Zerstörung auf seinem Standpunkt beharrt hatte, oder war es Chruschtschow, der so ungestüm begonnen und dann im Angesicht des Todes von Millionen von Menschen einen Rückzieher gemacht hatte?
    Im Bereich von Jonas’ Magen machte sich eine Stimme bemerkbar, die sich ungestüm für den temperamentvollen Russen einsetzte. Es gab Menschen, die gar nichts davon hielten, wichtige Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen. Doch Jonas war sich da nicht so sicher. Vielleicht war es gerade ein wenig mehr Gefühl, das seine Welt brauchte. Er war jedenfalls unendlich erleichtert. Fast, als hätte ihm jemand einen riesigen Stein von der Brust gewälzt. Nun konnte er wieder frei atmen.
    Das Bild des Kremlführers verschwand. »Hoffentlich überlegt er es sich nicht noch einmal anders«, murmelte Lischka.
    »Wie meinst du das?«
    »Wenn er mitbekommt, dass die neue Fernsehrede Kennedys nur die alte vom Montag ist, könnte er erneut einen Tobsuchtsanfall bekommen.«
    »Zu diesem Zeitpunkt hat sein Botschafter in Washington aber wahrscheinlich schon die Nachricht übermittelt.«
    Lischka nickte ernst. »Das könnte sich für den Frieden als vorteilhaft erweisen.«
    Seit langem waren die stillen Beobachter nicht mehr so zuversichtlich gewesen wie in diesem Moment.
    Bald darauf zeigte ein kurzer Blick nach Nowo Ogarewo einen Fahrer, der gerade den Beschluss des Ministerpräsidenten in Empfang nahm, zu seinem Wagen rannte und mit durchdrehenden Rädern in Richtung Moskau davonstob. Auf Nachfrage Lischkas konnte Limmi mitteilen, dass der Fahrer auch in der großen Höhle zu verfolgen war. Die Spiegelgruppe konnte sich also wieder dem Geschehen im übrigen Teil der Welt zuwenden, während ein anderer Flüsterer sich des russischen Boten annahm. Der sollte sich dann noch lange Zeit nach diesem Tag wundern, mit welcher Gelassenheit er, einem Formel-1-Piloten gleich, durch den Moskauer Stadtverkehr gebraust war.
    Fidel Castro stand dem Genossen Chruschtschow in puncto Erregbarkeit in nichts nach. Als Quitu ihn wenig später im Spiegel erscheinen ließ, drückte er gerade wortgewaltig seinen Unwillen über den sowjetischen Schlingerkurs aus. Der Kremlchef hatte Castro nicht einmal von dem Rückzugsbeschluss in Kenntnis gesetzt. Doch was der vollbärtige Mann in Havanna da von seinen Untergebenen hörte, war ungeheuerlich. Gerade hatte man die Arbeiten an vierundzwanzig Raketenstellungen abgeschlossen, doch mit einem Mal war der Eifer der Waffenbrüder erlahmt. Man konnte fast meinen, sie würden jeden Moment damit beginnen, alles wieder abzubauen!
    »Hurensohn! Bastard…!« Jonas stieg die Schamröte ins Gesicht, als er all die Flüche vernahm, mit denen Castro den Kremlführer überschüttete. Einige der einfallsreicheren Wortschöpfungen konnte nicht einmal der Kristallspiegel verständlich wiedergeben.
    Fidel Castro rief die militärische Spitze zusammen, um die veränderte Lage zu erörtern. Wenn die Amerikaner jetzt angriffen, dann war er ihnen schutzlos ausgeliefert. Der große Bruder in Moskau hatte die »Insel der Freiheit«

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