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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wünschte sich so sehr Darina helfen zu können, aber er wusste nicht, wie.
    Auch Sarah war es nicht gelungen, ihren Sohn und seine zierliche Freundin aufzumuntern. Jonas’ Mutter konnte deren Stimmung einfach nicht nachempfinden. Sie selbst war so glücklich! Sie hatte ihre Sohn zurückgewonnen und nun zeichnete sich auch ein baldiges Ende der Krise ab, die Azon und die Menschenwelt gleichermaßen bedroht hatte. Warum konnten nicht alle so glücklich sein wie sie?
    Zu vorgerückter Stunde stießen Ximon und Lischka zur Schar der Feiernden. Sie hatten darauf bestanden, noch in der Höhle der Flüsterer zu bleiben und später nachzukommen. Limmi folgte ihnen. Als der junge Flüsterer die auf einem Nebentisch angerichteten Speisen sah, machte er große Augen und ging gleich zum Angriff auf das Büffet über. Jonas war nicht allzu sehr darüber verwundert, welche Mengen Limmi in sich hineinschaufeln konnte: Er selbst hatte ab und an ähnlich ungestüme Momente.
    Ximon fasste für die Anwesenden kurz zusammen, was sich noch im Laufe des Tages zugetragen hatte. Kurz nach ein Uhr mittags hatte Außenminister Dean Rusk eine Pressekonferenz für Zeitungs- und Rundfunkjournalisten gegeben. Seine Äußerungen seien sehr zurückhaltend gewesen, meinte Ximon. Rusk sagte wörtlich: »Zu diesem Zeitpunkt schon zu behaupten, dass alles vorbei sei, ist nicht angebracht.«
    Dieser Ansicht schlossen sich Lischka und Ximon an. »Das Gröbste dürften wir allerdings hinter uns haben«, bemerkte Lischka mit einem breiten Lächeln. »Hier und da schwelen noch einige Feuerchen, die ganz schnell wieder zu einem großen Brand entfacht werden können. Aber wenn wir Flüsterer auf der Hut sind, wird bald nur noch der Rauch über den Himmel ziehen.«
    »Hoffentlich sieht man ihn noch möglichst lange«, knarzte Syrda. »Wäre nicht so gut, wenn die Menschen ihre Fehler allzu schnell vergäßen.«
    Am Abend habe es noch ein amüsantes Treffen gegeben, berichtete Ximon weiter. Der KGB-Chef in Washington, Alexander Feklisow, den Amerikanern unter dem Decknamen Fomin bekannt, hatte sich noch einmal mit John Scali verabredet. Fomin richtete dem State-Department-Korrespondenten den Dank Chruschtschows aus. Scali habe der Sowjetunion sehr geholfen. Dann – und das war das eigentlich Lustige – bedankte sich Fomin sogar für Scalis Wutausbruch vom vergangenen Nachmittag. Das habe ihm den Ärger der Vereinigten Staaten über die Haltung der Sowjetunion deutlicher gezeigt als jede diplomatische Debatte.
    »Dann scheinen die Menschen also wirklich zur Besinnung zu kommen«, stellte Belkan zufrieden fest.
    »Wir werden Keldins Spiegel trotzdem rund um die Uhr besetzt halten, um, wenn nötig, schnell reagieren zu können«, sagte Ximon.
    Als die Gespräche im Kristallsaal allmählich abflauten, zog sich Jonas in sein Zimmer zurück. Darina und Syrda waren schon kurz vorher mit einem Gutenachtgruß verschwunden. Die alte Weise hatte sich erboten bis zum Morgen bei Darina zu bleiben. »Nur falls du in der Nacht zu spucken anfängst oder sonst was für Sachen machst«, hatte sie Darina gegenüber erklärt.
    Wenn Jonas des Nachts im Bett lag, dann konnte er erst richtig nachvollziehen, was Darina durchmachte. Er hätte die Kette mit dem Freundschaftsstein einfach abnehmen und vermutlich tief und fest schlafen können, aber irgendetwas in seinem Innern sträubte sich dagegen. Er wollte da sein, wenn Darina ihn brauchte. Damals, als Lydia in die Sümpfe gelaufen war, hatte er gezögert. Bei Darina wollte er nicht denselben Fehler begehen.
    Irgendwann tief in der Nacht musste er doch eingenickt sein. Der Traum schlich sich so hinterhältig in sein Bewusstsein, dass er ihn zunächst für Wirklichkeit hielt. Seit Stunden hatte er rücklings auf dem Bett gelegen und gegen die muschelverzierte Decke gestarrt. Mit einem Mal begannen sich die Bilder über seinem Kopf zu bewegen. Die Decke bekam eine runde Ausbuchtung. Immer weiter wölbte sie sich nach unten, wie ein Gummituch, in dem eine schwerer und schwerer werdende Eisenkugel lag.
    Während Jonas noch auf die sich aufblähende Muschelblase starrte, veränderten sich auch die bunten Mosaikbilder. Sie verschwammen und ordneten sich zu einer neuen Form an, die ihm vertraut war. Er blickte nun auf einen Globus, auf die Erde.
    Unvermittelt begann die Kugel auf ihn zuzufliegen. Jonas konnte sich gar nicht erklären, warum sie ihn nicht längst im Bett erdrückt hatte, bis ihm klar wurde, dass er fiel. Er stürzte aus

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