Das Echo der Flüsterer
großer Höhe auf die Erde zu.
Die Kontinente rasten wie die Trümmer einer Explosion heran. Er entdeckte Florida, konnte die Everglades erkennen, ein grünes Tuch, das sich deutlich von den zersiedelten Küstenregionen abhob. Dann wurde die amerikanische Westküste seinem Blick entrissen und er sah das Meer herankommen. Ein großes, schier endloses Blau. Einige Atemzüge lang gab es nur Wasser, aber dann fielen ihm ein paar Pünktchen am oberen rechten Rand seines Sichtfeldes auf. Sie wuchsen. Inseln. Jonas erkannte die Umrisse wieder. Die Bermudas! Dann verschwand auch dieser letzte Vorposten trockenen Landes und er stürzte auf die leicht gekräuselte Wasseroberfläche zu.
Plötzlich begann sich etwas Neues herauszubilden. Ein Strudel. Ein gewaltiger, sich im Uhrzeigersinn drehender Mahlstrom. Und Jonas fiel genau darauf zu. Jäh durchbrach er die Wasseroberfläche und tauchte in das Innere des Wirbels. Sein Sturz war viel zu schnell, um irgendwelche Einzelheiten wahrzunehmen. Er konnte sich ohnehin nur auf das pulsierende Blau konzentrieren, das ihm entgegenraste. Erst jetzt stellte sich die Erinnerung ein, dass er all dies schon kannte. Er wunderte sich, warum er nicht schon früher darauf gekommen war. Azons Herz pulsierte da unten. Wurde immer größer. Nahm bald sein gesamtes Blickfeld ein. Dann zerschellte er auf dem blauen Kristall.
Schreiend fuhr Jonas im Bett hoch. Sein Atem ging wie nach einem Sprint. Sein Nachthemd war klitschnass. Ängstlich blickte er zur Decke hinauf, aber da befanden sich nur die Muschelkassetten, in jeder ein anderes Bild. Es war nur ein Alptraum gewesen, dachte Jonas. Aber dann stutzte er: Er hatte das Gefühl, sein Bett würde vibrieren.
Er schwang die Beine heraus und suchte die Lampe auf dem Nachttischchen. Sie war nicht da. Verwundert tastete er sich in Richtung Tür vor. In der Dunkelheit musste er völlig die Orientierung verloren haben, denn er fand die Lichtkugel erst nach einigem Herumtasten. Schnell legte er die Handfläche auf den runden Glaskörper und ein weiches Licht ergoss sich in den Raum. Jonas’ Atem stockte.
Das Bett stand nicht mehr da, wo es sich noch am Abend befunden hatte. Der kleine Tisch mit der Lesekugel war umgestürzt. Die Lampe selbst lag in einer ganz anderen Ecke des Raumes.
In diesem Moment kamen seine Eltern hereingestürzt.
»Jonas«, brach es aus Sarah hervor, »Jonas, hast du das auch mitbekommen?«
Der Junge sah seine Mutter fragend an. »Wenn du meinst, dass mein Bett zum Schlafwandler geworden ist, das ist mir allerdings schon aufgefallen.«
»Hast du denn gar nicht das Erdbeben bemerkt?«
Jetzt sah Jonas noch ratloser aus. Sein Vater nickte ihm bedeutungsvoll zu.
»Eigentlich war es nur ein einziger langer Stoß, eine Art Zittern, das schlagartig anschwoll und nach einem heftigen Ruck leise vibrierend ausklang. Als hätte jemand die Saite eines riesigen Kontrabasses gezupft.«
»Ich muss nach Darina sehen!«, stieß Jonas plötzlich hervor. Er ließ seine verdutzten Eltern stehen und rannte auf den Flur hinaus.
Dort begegnete er Krem, der aber so beschäftigt war, dass er ihn gar nicht zu bemerken schien. Belkans Diener jagte in Zipfelmütze und weißem Nachthemd an ihm vorüber wie ein Theatergespenst, das Gefahr lief seinen Auftritt zu verpassen. Andere Bonkas waren kaum weniger aufgeregt. Der ganze Muschelpalast befand sich kurz vor einer Panik.
Vorbei an orientierungslosen Kleinen und über etliche umgefallene Möbelstücke hinweg erreichte er Darinas Zimmer. Er riss die Tür auf, ohne anzuklopfen, und blieb wie angewurzelt stehen.
Auch Darinas Bett war durch das Zimmer gerutscht. Sie saß noch darin und blickte mit weit aufgerissenen Augen in Jonas’ Gesicht. Syrda war bei ihr und tätschelte stumm ihre Hand. Das sonst goldene Haar der Wissenden erschien dunkel und schweißnass. Das Nachthemd klebte ihr am Leib, man konnte die Kette mit dem Freundschaftsstein durch den Stoff hindurch sehen.
»Jonas!«, hauchte sie. Ihre Stimme war kaum zu hören.
Er eilte an ihr Bett und ergriff die zitternde Hand. Nur am Rande nahm er wahr, dass hinter ihm mehrere Personen in das Zimmer eilten. »Was ist geschehen?«, fragte Jonas, ohne jeden Zweifel, dass die Wissende die Antwort kannte.
Darina sah ihn an und schüttelte den Kopf, als könne sie damit ungeschehen machen, was sie im Traum erfahren hatte. Tränen rannen ihr über die Wangen. Ihre Unterlippe bebte. Als sie endlich mit brüchiger Stimme zu reden begann, sprach aus
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