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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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schmählich verraten.
    Kurz nach neun Uhr morgens erhielt Dean Rusk im Außenministerium den erlösenden Anruf: Radio Moskau sende gerade eine Erklärung der sowjetischen Regierung. Demnach, so Chruschtschow, »hat die sowjetische Regierung in Ergänzung früher ergangener Anweisungen zur Einstellung der weiteren Arbeiten an den Baustellen eine neue Anordnung zur Demontage der Waffen, von der anderen Seite als ›offensiv‹ bezeichnet, zu ihrer Verpackung und Rückführung in die Sowjetunion erlassen«.
    Rusk griff zum Telefonhörer. Um zehn hatte er endlich den Justizminister bei seinem Springturnier ausfindig gemacht. Wenige Minuten später saß Robert Kennedy in seiner Limousine; seine Töchter hatten wenig Verständnis für den vorzeitigen Aufbruch des Vaters gezeigt.
    Bobby fuhr umgehend ins Weiße Haus. Er war noch nicht lange dort angekommen, als ein Anruf von Anatoli Dobrynin einging. Der Sowjetbotschafter bat den Justizminister dringend um eine Unterredung. Um elf saßen die beiden in Bobbys Amtszimmer zusammen.
    Dobrynins Ton war um einiges zurückhaltender als noch am Abend zuvor, als er leidenschaftlich um einen Rückzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei gestritten hatte. An diesem Morgen richtete er dem Präsidenten und seinem Bruder die besten Grüße Chruschtschows aus. Dann wiederholte er das Angebot des Kremls: Alle Raketen würden unter angemessener Überwachung durch die Vereinten Nationen abgebaut und in die Sowjetunion verschifft.
    Lischka zwinkerte Jonas über den Spiegel hinweg zu. Das sollte wohl heißen: Jetzt wird alles gut.
    Nachdem Dobrynin das amerikanische Justizministerium verlassen hatte, kehrte Bobby ins Weiße Haus zurück und berichtete seinem Bruder ausführlich von dem Gespräch. Der Präsident war sichtlich erleichtert. Noch in Gegenwart seines Bruders rief er die ehemaligen Präsidenten Truman und Eisenhower an, um ihnen die gute Nachricht zu übermitteln. Anschließend verabschiedete sich Bobby.
    Auf dem Weg zur Tür rief ihm Jack mit einer Anspielung auf Abraham Lincoln noch nach: »Das ist der richtige Abend, um ins Theater zu gehen.«
    Bobby lächelte. »Wenn du ins Theater gehst, komme ich mit.«

 
     
     
     
    F · Ü · N · F · T · E
    F · A · C · E · T · T · E
     
     
     
    DIE ZÄHMUNG

 
    EIN BEUNRUHIGENDER TRAUM
     
     
     
    Im Muschelpalast herrschte eine ausgelassene Stimmung. Der Kristallsaal war kurzerhand zu einem Festraum umfunktioniert worden. Nicht nur alle Ältesten waren anwesend, sondern auch all die Gefährten, die Jonas und Darina durch das Zwieland begleitet hatten. Man aß, trank und machte Pläne für die Zukunft.
    Jonas konnte das Gefühl, noch einmal mit knapper Not dem tödlichen Sturz in einen Abgrund entronnen zu sein, nicht in vollen Zügen genießen. Die guten Nachrichten aus den Ländern des Moskitos, des Bären und des Adlers waren eine Sache, aber Darinas Verhalten eine andere.
    Die Wissende war an diesem Abend sehr ernst. Irgendetwas bedrückte sie. Als Jonas sie danach fragte, gab sie wieder die gleiche Antwort, die er nun schon mehrmals von ihr gehört hatte: Ein Schatten liege auf ihrer Seele, etwas Bedrohliches, eine Gefahr, die sie sich nicht erklären, auf die sie auch nicht mit dem Finger zeigen könne, um dann allen zu sagen: Da, gebt Acht, duckt euch – oder was auch immer.
    Im Laufe des Nachmittags hatte dieses Gefühl auch Jonas verspürt. Daraufhin waren sie zum Schneckenhaus gegangen, um Syrda die Einladung für das abendliche Fest zu überbringen und sie über die Freundschaftssteine zu befragen. Darina und Jonas glaubten, ihre Kettenanhänger seien für das gemeinsam empfundene Unbehagen verantwortlich. Syrda bestätigte diese Annahme.
    »Wahre Freunde fühlen miteinander und füreinander. Es ist also ganz normal, wenn du, Jonas, genau dasselbe empfindest wie Darina.«
    »Dann habe ich allen Grund mich zu fürchten und ich weiß nicht mal, warum.«
    Darina legte ihre weiße Hand auf die von Jonas. »Ich wünschte, ich könnte dir sagen, was uns bedroht, mein Bruder.«
    Seit dem Besuch im Schneckenhaus waren nun fünf Stunden vergangen. Fünf Stunden, in denen Darina immer blasser geworden war.
    Jonas schaute besorgt zu ihr hinüber. Die Haut ihres Gesichts wirkte beinahe durchsichtig. Sie saß an der großen Kristalltafel. Ihr Teller war noch genauso voll, wie Krem ihn ihr vorgesetzt hatte. Sie bemerkte Jonas’ Blick und versuchte zu lächeln. Es gelang ihr nur schwer. Jonas’ Herz verkrampfte sich. Er

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