Das Echo der Flüsterer
nichts tun. Redet ihm gut zu. Er ist wie ein verängstigtes Kind. Ich habe Angst, er könnte sich befreien, bevor Kraark das Zeichen gibt.«
In großer Eile durchquerten Jonas, seine Eltern, Sam und Bergalf zusammen mit dem weißen Hirsch und den Schelpins die große Flüstererhöhle. An der Abzweigung zu Mackys Höhle trennten sie sich.
»Deine Eltern müssen großes Vertrauen zu dir haben, dass sie dich so einfach gehen lassen«, sagte Bergalf.
»Sie haben mich ja mein Leben lang beobachtet. Vermutlich kennen sie ihren Sohn inzwischen besser als ich mich selbst.«
Als die beiden ins Freie traten, löschten sie ihre Fackeln. Die Nacht war hell und so kamen sie selbst in der Dunkelheit auf dem Pfad nach Tikrar gut voran.
Kurz vor den ersten Häusern sagte Bergalf: »Es wird Zeit, dass wir uns tarnen. Bist du bereit?«
Jonas nickte. Auf dem Weg in die Stadt hatten sie ihren Plan mehrmals durchgesprochen. Er zog Syrdas Kristallhütchen aus der Tasche und steckte es auf den linken Zeigefinger. Fast augenblicklich verwandelte sich Jonas in einen kahlköpfigen Malkit.
Bergalf schreckte zurück. »Ist das Kanthelm?«
Jonas, in der Maske des Herrschers, zuckte die Schultern. »Einen anderen Malkit kenne ich nicht. Aber du hast ihn doch schon einmal gesehen!«
»Ja, aber nur aus der Ferne, als er auf dem Rücken des Gorrmacks… also Mackys saß.«
»Jetzt bist du an der Reihe.«
Bergalf holte die Silberkette mit seinem Bilm aus dem Ausschnitt und umfasste den Stein mit der Rechten. Plötzlich verschwand er – genau genommen verwandelte er sich in einen dunklen Schatten.
»So könnte es klappen«, sagte Jonas zufrieden. »Bleib immer dicht bei mir, wie es sich für einen gehorsamen Schatten gehört.«
»Dein Wunsch sei mir Befehl, großer Schattenwerfer.«
In ihrer Tarnung kamen Jonas und Bergalf gut voran. Immer tiefer drangen sie in die große Stadt ein. Aus den Häusern ergoss sich gelbes Licht auf die Straßen. Ab und an war auch grölendes Lachen oder lautes Schimpfen zu vernehmen. Kanthelms Ebenbild und sein Schatten hielten sich, so gut es ging, in der Dunkelheit.
Einmal bogen sie um eine Straßenecke und wären fast mit einer Gruppe von Malkits zusammengestoßen. Jonas ging gleich weiter und ließ ein paar völlig verwirrte Männer zurück. Kanthelms Gesicht war den Bewohnern von Tikrar so vertraut wie die Form eines Quadrats. Doch sie wussten auch, dass ihr Herrscher vor einigen Tagen völlig entstellt von einer Reise nach Hause zurückgekehrt war. Einige hielten Jonas daher für einen Doppelgänger. Die abergläubischeren Naturen dagegen dachten, in dieser Nacht einem Geist begegnet zu sein. Der
seltsam lebendige Schatten, der Kanthelm folgte, bestärkte sie nur in dieser Annahme.
Kurz vor den Mauern am Fuße des Palastberges hörte Jonas das Schlagen großer Flügel. Kraark landete vor ihm auf dem Pflaster und musterte ihn aus sicherem Abstand. Da fiel Jonas ein, dass seine Tarnung den Raben ja irritieren musste. Zwar hatte er Kraark in der Gorrmackhöhle gesagt, wie er ihn erkennen könne, aber der Rabe war dennoch misstrauisch. Kein Wunder, bei einer derart perfekten Illusion! Jonas zog sich tiefer in die Schatten zurück und ließ das Trugbild Kanthelms verschwinden.
»Entschuldige, Kraark. Ich weiß, dass dir mein ›Kostüm‹ nicht besonders gefällt.«
»Kraark, kraark.«
Jonas erschrak. Dann fiel ihm wieder sein Bilm ein und die Kristallsäule in Mackys Höhle. »Ich verstehe dich leider nicht mehr, mein Guter. Kannst du wie wir Menschen mit dem Kopf nicken oder ihn schütteln?«
Kraark bejahte diese Frage durch ein Nicken.
»Gut. Hast du Darina gefunden?«
Der Rabe senkte den Schnabel.
Wie in einem Ratespiel, in dem man nur mit Ja oder Nein antworten darf, arbeiteten sich Jonas und Bergalf an alle Informationen heran, die sie benötigten. Das Übrige würde ihnen Kraark zeigen müssen, wenn sie erst im Palastbezirk waren.
Die erste Hürde war das Tor am äußeren Mauerring. Hier kam den dreien das Glück zu Hilfe.
Aus sicherer Deckung beobachteten sie einen Hauptmann der Palastwache, der gerade seine Soldaten inspizierte. Der Malkit unterhielt sich im Licht einer Laterne mit einer Wache. Einzelne Fetzen des Gesprächs wehten zu Jonas, Bergalf und dem Raben herüber. Offenbar hatte Kanthelm erhöhte Alarmbereitschaft angeordnet. Gegen alle Gewohnheit sollten in dieser Nacht auch außerhalb der Mauern Wachen patrouillieren.
Nachdem der Hauptmann zwei Männer vor die Mauer
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