Das Echo der Flüsterer
dieses Horrorheft stieß, auf dem das offizielle Siegel mit dem Adler prangte.
Dr. Goulds Stimme brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er sprach so leise, dass Jonas ihn fast nicht verstehen konnte: »Haben Sie schon einmal etwas von der Operation Anadyr gehört, Frank?«
»Anadyr?« Wieder Stille, nur das Brummen der Motoren im Hintergrund. »Nein, der Name sagt mir überhaupt nichts.«
»Die ganze Sache ist so geheim, dass selbst in Chruschtschows engster Umgebung nur wenige davon wissen. Einer unserer Agenten in Moskau hat diesen Codenamen durch einen verrückten Zufall aufgeschnappt. Wie es scheint, planen die Sowjets ein Unternehmen in Kuba. Wir wurden auf die ganze Sache aufmerksam, nachdem Raul Castro, der Bruder des Ministerpräsidenten, Mitte Juli von einer vierzehntägigen Moskaureise zurückgekehrt war. Als dem Besuch kein offizielles Kommunique folgte, dachten wir zuerst, die kubanische Mission sei gescheitert. Aber dann rühmte sich Raul auf einer Versammlung, dass die Insel nun eine Invasion von Seiten der USA nicht mehr zu befürchten habe. Als Kuba am 26. des Monats den Jahrestag des Juliaufstandes feierte, äußerte sich Fidel Castro in aller Öffentlichkeit ganz ähnlich.«
»Vielleicht war es nichts als Säbelrasseln, um uns einzuschüchtern.«
»Natürlich haben wir diese Möglichkeit in Betracht gezogen, aber unser Verdacht wurde durch einen eigenartigen Zufall bestärkt. Einer unserer Agenten schnappte eine Äußerung des Privatpiloten von Fidel Castro auf. Der Mann hatte in Havanna die Nacht durchgezecht und war in sehr ausgelassener Stimmung. Als ich den Bericht las, ging in meinem Kopf eine rote Lampe an. Der Pilot sagte wörtlich: ›Wir werden bis zum Tode kämpfen und vielleicht können wir gewinnen, weil wir alles haben, einschließlich Atomwaffen.‹«
Wieder gab es eine Pause. Frank musste die Neuigkeiten, mit denen Dr. Gould ihn gerade konfrontiert hatte, wohl erst verdauen. Schließlich sagte er: »Ich hatte gleich befürchtet, dass wir nicht nur wegen der verstärkten Militärlieferungen nach Kuba in diesem Flugzeug sitzen.«
»Eigentlich hätte jetzt Kenneth McDonnel an Ihrer Stelle sein sollen, Frank. Aber dummerweise hat er sich diesen hässlichen Virus eingefangen. Ich habe Sie ausgewählt, weil Sie ein heller Kopf sind. Das ist im Übrigen auch die Meinung des Präsidenten. Sie wissen, er sammelt fähige Männer wie andere Leute Briefmarken. Und Sie verfügen über alle Qualitäten, die er schätzt: eine gute Ausbildung, Sie gehen schwierige Aufgaben unvoreingenommen und kreativ an und Sie scheuen sich nicht die richtigen Fragen zu stellen. Unser kleines Verhandlungsteam wird von Ihren Fähigkeiten gewiss profitieren.«
»Vielen Dank, ich weiß Ihr Lob sehr zu schätzen, Sir. Trotzdem hätte ich mir gewünscht mich etwas besser auf unsere Mission vorbereiten zu können.«
»Machen Sie sich da keine Sorgen, Frank. Sie werden auf unserer Reise noch ausreichend Gelegenheit dazu bekommen. Es war zunächst einmal wichtig, Ihnen die wirklichen Gründe für Kennedys Bedenken klarzumachen – es geht hier um wesentlich mehr als nur um einen Ausbau der kubanischen Landesverteidigung.«
Jonas hatte der Unterhaltung der beiden Diplomaten so gespannt zugehört, dass er zu spät reagierte, als plötzlich ein Blatt Papier auf den Boden segelte. Es musste einem der Männer aus der Hand gerutscht sein. Mit weit aufgerissenen Augen, unfähig sich zu bewegen, starrte er auf den weißen Bogen. Er lag in dem schmalen Gang zwischen dem kleinen Tisch und der längs zur Flugrichtung montierten Bank. Wenn jetzt einer der beiden Männer aufstand, um sich nach dem Dokument zu bücken, war Jonas verloren.
»Warten Sie, Sir. Ich mach das schon.«
Das war Franks Stimme. Jonas stockte der Atem. Jetzt war alles aus.
Doch anstatt in die Augen eines erzürnten Staatsdieners zu blicken, sah Jonas nur einen in graues Tuch gehüllten Arm, der sich weit über die Sessellehne reckte, und einen Teil von Franks Rücken. Eine weiße, feingliedrige Hand fischte nach dem Blatt und beförderte es aus Jonas’ Blickfeld auf den Tisch zurück.
Jonas atmete erleichtert auf. Das war mehr als knapp gewesen. Der Assistent von Dr. Gould setzte das Gespräch fort, als wäre nichts passiert.
»Ich hätte nicht gedacht, dass die Situation so ernst ist: Bei einem atomaren Erstschlag von kubanischem Territorium aus wäre die Vorwarnzeit für uns praktisch gleich null!«
»Eben deshalb hat Kennedy in der von Ihnen
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