Das Echo der Flüsterer
Bergalf und wollte gerade sein Schelpin antreiben.
»Warte!« Mangaar hielt ihn zurück. »Ich sage dir, das riecht nach einem Hinterhalt.«
»Das riecht nicht nur nach einer Falle, das stinkt sogar«, gab Bergalf gleichmütig zurück.
»Ich verstehe dich nicht.«
Der junge Fährtensucher drehte sein Schelpin zu Mangaar herum und antwortete: »Bonkas haben – wenn wir beide mal von unseren Messern absehen – zwar keine Waffen aus Holz oder Stahl, aber du weißt, dass wir nicht wehrlos sind, mein Freund.« Er sah in die Runde der Gefährten, die ihn erwartungsvoll und auch fragend anblickten. »Und nun kommt«, spornte er sie an. »Wir alle trauern um Tamakh und wir alle wissen um unsere trostlose Lage, aber es wird uns nicht retten, wenn wir hier stehen bleiben und darauf warten, dass die Malkits deutlichere Lebenszeichen von sich geben. Das könnte für uns nämlich tödlich ausgehen. Und außerdem…« Er stockte. »Darina, wusstest du von der Brücke?«
Die Wissende hatte nachdenklich den Raben auf Jonas’ Schulter betrachtet. Nun blickte sie Bergalf an wie jemand, der gerade aus dem Schlaf erwacht ist. »Ich kannte die Brücke. Allerdings ist alles in diesem Teil Azons sehr verschwommen in meinem Gedächtnis, deshalb kann ich euch nicht mit derselben Sicherheit führen, wie der Rabe es offenbar vermag.«
»Dann sag du uns, Darina: Gibt es noch einen weiteren Weg über diese Schlucht?«
»Die Brücke ist die einzige Verbindung zur Spiegelregion.«
Bergalf wandte sich wieder zu Mangaar. »Noch irgendwelche Fragen?«
Verstohlene Blicke wanderten zu dem verschütteten Facettentor hin, als die Karawane daran vorbeizog. Die Durchquerung der Spiegelregion hatte drei Schelpins das Leben gekostet. Und einem Flüsterer. Wohl jeder musste in diesem Augenblick an den kleinen Tamakh denken. Nur die Anspannung, die aus dem Gefühl der Ungewissheit über die bevorstehenden Gefahren erwuchs, half den Gefährten etwas ihre Niedergeschlagenheit zu überwinden. Alle wussten, die Trauer würde zurückkehren.
Der Weg zu der von Kraark angekündigten Brücke war nicht sehr weit, dafür aber umso gefährlicher. Der schmale Grat, der den Reisenden als Pfad diente, war die einzige größere Einkerbung an der mehr oder weniger glatten Wand des Canons. Der Eindruck drängte sich auf, geschickte Hände könnten vor unzähligen Generationen diesen Felsweg geschaffen haben. Doch andererseits wirkte er auch wieder wie eine Laune der Natur. Er verlief völlig unregelmäßig. Mal ging er ein Stück weit bergab, dann stieg er erneut hinauf. Mal war er so schmal, dass die Reiter das rechte Bein über den Hals ihres Tieres legen mussten, damit sie nicht an der Felswand entlangschabten, dann wieder hätten sie sogar zu dritt nebeneinander reiten können. An manchen Stellen bestand der Untergrund aus einem wahren Scherbenhaufen zerborstener Steinplatten, an anderen war er völlig frei von Geröll. Als endlich die Brücke hinter einem Felsvorsprung ins Blickfeld rückte, atmeten die Reiter auf.
Mit offenem Mund starrte Jonas das fragile Bauwerk an, das wie ein Gemälde eines surrealistischen Malers wirkte. Ziemlich genau in der Mitte der Schlucht, die an dieser Stelle höchstens einhundert Fuß breit war, ruhte die Brücke auf einem einzigen Stützpfeiler. Allein diese Konstruktion war schon abenteuerlich genug. Nach der rauen, teilweise zerklüfteten Außenseite der Säule zu schließen handelte es sich hier um eine weitere Spielerei der Natur. Ihre Oberseite war nachträglich abgeflacht worden. So konnte sie als rundes Podest mit einem Durchmesser von etwa zehn Fuß dienen. Von der Spitze an wurde die Felsnadel nach unten hin allmählich dicker. Noch immer war kein Grund der Schlucht auszumachen. Doch so viel stand fest: Dieser Brückenpfeiler übertraf an Höhe alles, was Menschenhände je erschaffen hatten.
Die Seite der Schlucht, auf der sich Jonas und die Bonkas befanden, war mit dem Pfeiler durch eine schmale Brücke verbunden, die aus dem Gestein des Gebirgsmassivs gefertigt zu sein schien. Ein filigranes, durchbrochenes Geländer zierte sie zu beiden Seiten. In einem sanften Bogen schwang sich der Steg bis zum Mittelpfosten, um sich von dort in einer halben Schraube kopfüber zu drehen und den Rest des Abgrundes zu überbrücken. Das Bauwerk verband die beiden Seiten der Schlucht an ihrer engsten Stelle – nicht nur oberhalb, sondern auch unter dem jenseitigen Brückenansatz wichen die Wände deutlich zurück.
Jonas erinnerte
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