Das Echo der Flüsterer
sich an das Spiegelbild der Hängenden Berge, das er am Vormittag in dem See betrachtet hatte. Der gleiche Eindruck drängte sich ihm hier auf, nur dass die Brücke kein Gewässer überspannte. Verwirrt betrachtete er über Kraarks Kopf hinweg die abstruse Konstruktion. Er wollte sie gerne begreifen, aber es gelang ihm nicht. Der steinerne Pfad hinter dem Brückenpfeiler drehte sich wie das Horn eines Widders. Man musste schon Saugnäpfe an den Füßen haben, um nicht bereits auf halber Strecke von dem schraubenförmigen Weg in die Tiefe zu stürzen.
»Anscheinend gehört die andere Seite zu den Hängenden Bergen«, sagte Bergalf völlig gelassen.
Goldan nickte. »Oder sagen wir lieber, zum zwieländischen Gegenstück unseres so genannten Gebirges.«
»Aber wie sollen wir denn da rüberkommen?«, brach es aus Jonas hervor. »Ich bin doch keine Schnecke, die überall kleben bleibt.«
Bergalf grinste ihn an. »Keine Sorge, mein Freund. Das wird unser geringstes Problem sein.«
Bald standen ein weißer Hirsch und zwölf Schelpins vor der Brücke.
Goldan blickte Bergalf eindringlich an. »Und du bist dir ganz sicher, dass niemand mehr drüben ist?«
»Ich habe etwas anderes gesagt: Seit dem Vorfall vorhin habe ich niemanden mehr gesehen. Wir müssen wohl einfach auf gut Glück die Brücke überqueren.«
»Wir?«
»Ich, wenn es das ist, was du hören willst.«
Goldan senkte für einen Moment die Augen. Als er den jungen Fährtensucher wieder ansah, lag ein Ausdruck von Reue auf seinem Gesicht. »Vergib mir, Bergalf, wenn ich es an Freundlichkeit habe mangeln lassen, aber Tamakhs Geschick lässt mich kaum noch klar denken. Unsere Reise hat doch heute erst begonnen! Ich möchte nicht, dass sie noch mehr Opfer fordert.«
»Schon gut, Goldan. Mir steckt Tamakhs Tod genauso in den Knochen wie allen hier. Aber wenn es euch beruhigt«, Bergalf holte seinen Sinnstein aus dem Hemd hervor, »dann seht euch einmal das hier an.«
Alle rückten so nah wie möglich an den Fährtensucher heran. Wie Jonas, so konnten auch die anderen sehen, was Bergalf meinte: In dem Bilm waren zwei leuchtende Punkte zu erkennen. Der eine im Zentrum des Steines strahlte wie seit Beginn der Reise. Es war Darinas Licht. Aber weiter außen an der Peripherie des Kristalls konnte man ein kleineres Glimmen erkennen.
»Wann hast du es das erste Mal gesehen?«, fragte Darina.
»Kurz nachdem mir von dem zerstörten Facettentor aufgebrochen sind.«
»Und ist es uns gefolgt?«
»Eben nicht. Das Licht hat sich weiter zum Rand hin entfernt.«
Dann haben wir also nichts von diesem Malkit zu befürchten, dachte Jonas. Für einen Moment fühlte er Erleichterung – bis Darina ihn anschaute und etwas sagte, was ihm wieder das Gefühl gab, seine Gedanken lägen wie ein offenes Buch vor ihr.
»Wir dürfen uns davon nicht täuschen lassen. Dieser Malkit ist ein Kristallkind, ein Wissender wie ich. Er muss bei unseren rebellischen Brüdern eine hohe Stellung bekleiden.«
»Doch nicht etwa…?« Goldan wagte nicht auszusprechen, was er dachte.
Darina nickte. »Es dürfte Kanthelm, ihr Anführer sein.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Kanthelm und ich sind aus dem gleichen Kristall geboren. Alles, was der Stein erschafft, ist ein Gut der Wissenden.« Sie drehte sich zu Jonas um und sah ihn liebevoll lächelnd an. »Nur, wer den Stein mit seinem eigenen Körper durchdringt, bleibt vor mir verborgen. Die Wanderer tragen ihre Erinnerungen in sich selbst.«
»Aber ist es nicht egal, ob nun dieser Kanthelm oder irgendein anderer Malkit das Weite sucht?«, fragte Jonas, obwohl er Darinas Antwort schon ahnte.
»Nein. Kanthelm zieht sich zurück, weil er seinen Plan für unfehlbar hält.«
»Was… was für einen Plan?«
Das blonde Mädchen wandte sich der Brücke zu. »Dort irgendwo gibt es eine Gefahr. Vielleicht eine Falle, die zuschnappt, wenn wir die andere Seite betreten. Möglicherweise stellt auch der Übergang selbst für uns eine Bedrohung dar. Kanthelms niederträchtiger Geist ist mir vertraut, aber ich kann nicht sagen, was für Bosheiten er gebiert. Die Wissenden sind keine Hellseher.«
»Dann wird uns also nichts anderes übrig bleiben, als unser Glück zu versuchen«, sagte Bergalf leichthin. Er wandte sich erneut dem Wächter von Laomar zu. »Goldan, stimmt es, was man sich von dir erzählt? Es heißt, du besitzt die Gabe des For mens.«
Goldan nickte. »Ich habe sie von meinem Vater geerbt, ebenso wie seinen Sinnstein.«
»Glaubst du,
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