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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hatte. Eines nach dem anderen hörte auf das lockende Rufen des Jungen und überquerte sicher die Brücke.
    »Jetzt du, Goldan«, rief Bergalf seinem Gefährten zu.
    Jonas konnte sehen, wie sich der Wächter entspannte. Er ging langsam zur Brücke, zögerte einen kurzen Augenblick und legte dann mit einigen wenigen Sätzen die Distanz von knapp fünfzig Fuß bis zum Podest zurück. Nach Jonas’ Geschmack hätte Goldan das unberechenbare Bauwerk ruhig etwas vorsichtiger beschreiten können, aber wie schon so oft zuvor, schaltete sich Darina mit einer Erklärung ein.
    »Vielleicht irritiert dich die Eile des Wächters.«
    Jonas sah sie verwundert an.
    Darina schmunzelte. »Sich selbst kann Goldan nicht halten, sollte die Brücke einstürzen.«
    Jetzt blickte Jonas zum Wächter, der erleichtert lächelte und meinte: »Wenn man den Ast, auf dem man sitzt, absägt, dann kann selbst der stärkste Mann seinen Fall nicht verhindern.«
    »Wir sitzen hier wie auf dem Präsentierteller«, mischte sich Bergalf ein. »Fühlst du dich schon wieder stark genug, Goldan, um mich auf dem zweiten Brückenbogen zu halten, falls etwas schief läuft?«
    »Es wird schon gehen. Ich muss mich nur genau auf die Form konzentrieren, sonst könnte es leicht passieren, dass ich dir einen Stoß versetze, anstatt dich zu stützen.«
    »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn sich das vermeiden ließe.«
    »Erledige du die Arbeit des Fährtensuchers und ich werde die des Wächters erfüllen.«
    Bergalf nickte entschlossen. »Na, dann mal los.«
    Mit der gleichen Vorsicht, die er beim Überqueren des ersten Brückenbogens an den Tag gelegt hatte, betrat der athletische kleine Mann nun die zweite Hälfte des Bauwerkes. Schritt für Schritt wagte er sich weiter vor. Verblüfft verfolgte Jonas seinen Weg.
    Im Gehen kippte Bergalf mehr und mehr nach rechts, ohne allerdings seine Schräglage mit dem Körper auszugleichen. Obwohl der Brückenweg sich gewissermaßen auf den Kopf drehte, musste sich der Fährtensucher nicht einmal abstützen. Bald darauf schien er sogar waagerecht an der Seite der Brücke zu laufen und einige Schritte später hing er dann von dem steinernen Pfad wie eine Fliege von der Decke. Jetzt hatte Bergalf auch noch die Nerven sich umzudrehen und den Freunden zuzuwinken.
    In diesem Augenblick ging ein Knirschen durch die Brücke. Feiner Staub löste sich aus dem filigranen Steinbogen und rieselte – nach oben. Jonas hielt den Atem an. Einige Bonkas stöhnten erschrocken auf.
    Bergalf hatte sich sogleich auf alle viere sinken lassen und kroch nun weiter voran. Ein leichter Ruck ging durch die Brücke. Diesmal viel näher am Podest. Ängstlich blickte Jonas einem Brocken nach, der lautlos in der Tiefe verschwand. Er lauschte und lauschte, aber er konnte keinen Aufschlag hören.
    »Beeil dich, Bergalf!«, schrie Goldan. »Ich spüre, wie die Brücke nachgibt.«
    Das ließ sich der Fährtensucher nicht zweimal sagen. Behände wie ein Eichhörnchen huschte er zur anderen Seite der Schlucht hinüber. Dort wandte er sich – kopfunter – zu den Gefährten um und winkte ihnen erleichtert zu.
    »Kannst du sie noch halten?«, erkundigte sich Darina besorgt.
    Erste Schweißtropfen traten auf Goldans Gesicht. Starr auf die gewundene Brücke blickend erwiderte er: »Noch trägt sie sich fast von allein. Aber ich traue ihr nicht. Ihr solltet euch besser beeilen.«
    Goldan bestand darauf, auch diesmal bis zuletzt die Stellung zu halten. Er verlangte, dass die Gefährten in derselben Reihenfolge wie zuvor das Bauwerk überquerten. Nur die Tiere sollten zurückbleiben. Der Rabe hatte sich bereits zu Bergalf gesellt und krächzte aufmunternd.
    Als schließlich Jonas den Fuß auf die Brücke setzte, begann sein Puls zu rasen. Schon bei Darina hatten sich weitere Bruchstücke gelöst. Der steinerne Steg wurde zusehends instabiler. Mit dem Grad der Neigung des Pfades schienen Jonas’ Beine immer schwerer zu werden. Er erwartete jeden Moment abzurutschen und über das Geländer zu stürzen. Aber nichts dergleichen geschah.
    »Bitte, Jonas!«, rief Goldan von hinten. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. »Geh schneller. Ich weiß nicht, wie lange ich sie noch halten kann.«
    Jonas versuchte sich an der Brüstung entlangzutasten. Sie war aus demselben hellen Gestein wie die Brücke gearbeitet, aber nicht kompakt, sondern durchbrochen und wirkte mit ihren feinen Mustern wie Spitze. Plötzlich gab das Geländer nach. Jonas’ Hand glitt über den

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