Das Echo der Flüsterer
Verantwortung für Tamakh. Sein Tod ist eine schwere Bürde, die allein ich tragen muss.«
Jonas bewunderte Darinas Haltung. Sie wirkte so zart, so verletzlich, aber sie besaß eine außergewöhnliche innere Stärke. Obgleich er ihr ansah, wie sehr sie unter Tamakhs Schicksal litt, brachte sie sogar noch die Kraft auf ihren Gefährten Mut zuzusprechen. Unwillkürlich musste er an Lydia Gustavson denken, dieses traurige Mädchen, das ihm gerade durch ihre Verletzlichkeit so viel gegeben hatte.
Darinas Trost konnte nicht verhindern, dass Tamakhs Verlust den Bonkas fast die Sinne raubte. Selbst Jonas und Sam Chalk trauerten um den schmächtigen Flüsterer, der kaum etwas gesprochen hatte – nicht, weil er nichts zu sagen gehabt hätte, sondern einfach aus Bescheidenheit.
Da meldete sich unvermittelt Bergalf: »Das kann doch nicht…«
Alle blickten den Fährtensucher an, der selbst in einem solchen Augenblick noch seine Wachsamkeit bewahrt hatte.
»Da drüben«, sagte Bergalf, mit ausgestrecktem Arm über die Schlucht deutend. »Da ist etwas.«
»Vielleicht ein Tier?«, erkundigte sich Mangaar. Seine wasserblauen Augen suchten aufmerksam die gegenüberliegende Seite der Schlucht ab.
Jonas konnte nichts entdecken. Der Canon maß an dieser Stelle höchstens einhundertfünfzig Fuß in der Breite. Doch die jenseitige Bergflanke war stark zerklüftet und bot unzählige Verstecke.
»Kein Tier«, meldete sich Bergalfs unheilvoll ruhig klingende Stimme. »Bei dem, was ich dort drüben gesehen habe, handelte es sich um einen Mann.«
Mangaar schaute ihn ungläubig an. »Bist du dir absolut sicher?«
»Sagen wir, es war die flüchtige Beobachtung eines Fährtensuchers. Du siehst ja selbst, was für einen Trümmerhaufen die Bergflanke dort drüben darstellt.«
»Hm. Vielleicht ist die Legende von Keldin wirklich wahr! Sie erzählt, der Schmied sei mit seinen Gefährten ins Zwieland geflohen. Was du gesehen hast, könnte also gut ein Nachkomme dieser Bonkas sein.«
Bergalf blickte den Freund eine Weile lang aus seinen dunklen Augen an, dann schüttelte er den Kopf. »Was ich gesehen habe, war kein Bonka.«
»Ich denke, du konntest kaum etwas erkennen!«
»Hast du schon einmal einen Bonka ohne Haare gesehen?«
»Du meinst…?«
Bergalf nickte bedeutungsschwer. »Menschen bekommen Glatzen. Manchmal sogar Tiere. Aber Bonkas nicht. Unsere Haare sind unsere Pracht. Sie kommen in fast allen Farben vor, aber nie fehlen sie. Ich glaube, das da drüben ist ein Malkit gewesen.«
»Bergalf! Deine Phantasie geht anscheinend mit dir durch. Wir haben einen Gefährten und drei Schelpins auf dem Weg durch die Spiegelregion verloren. Glaubst du wirklich, die Malkits können hier so einfach ein und aus gehen? Und warum sollten sich seit der großen Trennung nicht auch die Nachkommen von Keldins Schar verändert haben?«
»Die Malkits sind ohne Ausnahme kahl, die Angehörigen von Keldins Volk jedoch nicht. Dafür besitzen die Malkits Waffen.« Aus Darinas ruhigen Worten sprach die Sicherheit der Wissenden.
»Dann sitzt ihr ja hier wie auf dem Präsentierteller«, krächzte Kraark. »Höchste Zeit für euch, aus der Schusslinie zu kommen. Am besten, ich erkunde mal ein bisschen die Gegend.« Der Rabe erhob sich in die Lüfte. Zielstrebig flog er die Schlucht hinauf und verschwand bald hinter einer Biegung.
Darina blickte Jonas fragend an.
»Er hat gesagt, er will sehen, wie wir von hier wegkommen«, übersetzte der Freund des Raben.
»Währenddessen können wir uns zum Aufbruch fertig machen«, sagte Goldan. »Der Pfad, auf dem wir uns hier befinden, ist sehr schmal. Überprüft noch einmal genau die Gurte eurer Sättel und vergewissert euch, dass die Lasttiere ihr Gepäck nicht verlieren. Der Sturz vom Rücken eines Schelpins könnte in dieser Gegend fatale Folgen haben.«
Jonas versuchte den Grund der Schlucht auszumachen. Es gelang ihm nicht. Auch nach oben hin schienen ihre Wände ohne Begrenzung anzusteigen. In jeder Richtung verlor sich der Blick in einem undurchdringlichen Dunst. Ein flaues Gefühl schlich sich in seine Magengrube und er fragte sich, ob ein Sturz von Trojans Rücken in diesem verfluchten Canon überhaupt jemals enden würde.
Nach kurzer Zeit kehrte Kraark zurück. »Da gibt es eine Brücke«, meldete er. »Etwa eine Dreiviertelmeile hinter dieser Biegung.« Er deutete mit dem Schnabel in die besagte Richtung.
Jonas gab die Entdeckung des Raben an die anderen weiter.
»Dann nichts wie los«, meinte
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