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Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Titel: Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Miller
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Vorderseite war gesperrt und sollte erst zur Wiedereröffnung präsentiert werden.« Lachend lehnte sie sich zurück. »Wir haben nichts als den Hintern des Heilands gesehen! Wusstest du, dass die Spannweite der ausgebreiteten Arme achtundzwanzig Meter misst?«
    Dora hatte ihr türkisfarbenes Hauskleid an, die falschen Korallen umgelegt und tat, was sie am liebsten tat: Sie schwelgte in Erinnerungen. Geduldig schaute ich mir zahllose Riobilder an. Sie und Ernie hatten so ziemlich alles abgehakt, was die Stadt dem Touristen bot. Nur ins Wasser war Dora nicht gegangen. Der Südostwind hätte die Wellen zu stürmisch aufgepeitscht, sagte sie.
    »Ich liebe die Farbenvielfalt der Südamerikaner. Was hast du abends getragen, wenn ihr in die Bars gegangen seid oder auf den Hippiemarkt nach Ipanema?«
    »Die meiste Zeit trug ich Weiß. Das lässt sich mit allem gut kombinieren.«
    »Ich schätze Weiß mehr an Männern.« Sie suchte ein bestimmtes Bild. »Die Senhores in den weißen Seidenanzügen sahen blendend aus. Ich habe Ernie auch so einen gekauft, er wirkte darin allerdings eher wie ein Bademeister.« Sie zeigte mir das Foto eines Hispanos, der sich emporrecken musste, um der großen Dora den Arm um die Schulter zu legen. »Das war unser Reiseleiter, Paolo!« Sie klimperte mit den Wimpern, um anzudeuten, dass es mit Paolo ein süßes Geheimnis gegeben habe.
    Während Dora ihr Rio vor mir ausbreitete, erstand meine eigene Zeit dort wieder. Ich sah mich im weißen Hosenanzug auf der Polizeistation, sah mich auf Kommunalbeamte einreden, die nur wenig Englisch verstanden und zusätzliche Mittel für die Suche nach Pascal verweigerten. In Weiß war ich auf das Schweizer Generalkonsulat gegangen, der Konsul hatte mich persönlich empfangen. Als er verstanden hatte, dass ich die Unterstützung der Schweiz für ihren vermissten Bürger erwartete, wurde er ziemlich reserviert und verabschiedete sich schließlich, um eine neue Gondel auf den Zuckerhut einzuweihen, Schweizer Fabrikat. Ich erinnerte mich des Moments, als ich in der Mittagshitze auf der Praça Mercado Municipal gestanden hatte, meine Jacke auf dem Arm, die Augen gegen den ewigen Wind geschlossen, und mich inmitten Tausender Menschen einsam fühlte.
    Plötzlich wünschte ich mir, dass es David sein möge, der hierhergekommen war, um mich zu treffen, und den ich morgen hoffentlich wiedersehen würde. Der einfühlsame Börsianer, der humorvolle Bergsteiger. In Gedanken an David ließ ich Doras Geschichten über mich ergehen und bot schließlich an, das Abendbrot zu kochen, die sicherste Methode, sie dazu zu bringen, selbst an den Herd zu eilen.
    Ich ging ins Freie, schnappte frische Luft, erntete ein paar harmlose Bemerkungen der Truckfahrer, die, an ihre Laster ge lehnt, Kaffee tranken. Ich traf Ernie auf der Straße. Er hatte ebenso wenig Lust wie ich, ins Reich der Quasselstrippe zurückzukehren. Wir zogen noch einmal in die Stadt los und dehnten unseren Spaziergang so weit aus, bis wir plaudernd auf die Rainbowbridge gelangt waren, die Grenze zwischen Kanada und den USA. Der Wind stand günstig, wehte uns also nicht den Sprüh regen der Wasserfälle ins Gesicht. Wir schlenderten bis zum Checkpoint, nickten den Grenzbeamten zu und machten wieder kehrt.
    »Bereust du es manchmal, nicht zurückzukönnen?«, fragte ich mit Blick auf die kanadischen Uniformen.
    »Ich könnte ja zurück. Aber wozu?« Ernie tippte mit der Hand aufs Geländer. »Armut ist hüben und drüben anstrengend.«
    Hinter uns donnerten die Wasserfälle. Wir schenkten dem weltberühmten Naturschauspiel kaum einen Blick und gingen nach Hause, um mit Dora Garnelenspieße zu essen.
    Am kommenden Vormittag blieb ich daheim. Karen hatte mir das Manuskript des Jugendbuches gemailt, ich saß am Computer, las und lauschte zugleich mit halbem Ohr, ob jemand an die Eingangstür kam. Hin und wieder hielt ich nach einem unbekannten Auto Ausschau. Einmal lief ich auf die Treppe, doch es war nur die Post, die den üblichen Werbekram abwarf. Ich holte die Sendungen herein, legte die Supermarktangebote für Dora bereit und kehrte in mein Zimmer zurück. Beim Lunch fragte Dora mich, ob ich sie in den Waschsalon begleiten wolle; ihre Waschmaschine hatte vor Jahren den Geist aufgegeben. Ich sagte, ich hätte zu arbeiten. Als der Nachmittag verstrich, ohne dass der angekündigte Besucher aufgetaucht war, geriet ich in eine unerklärliche Nervosität, fand mein Zimmer, das ganze Haus beklemmend und verfluchte meine

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