Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
und seine erste Frau hatten die Villa in heruntergekommenem Zustand gekauft und gemeinsam renoviert, mehr wusste ich nicht. Einmal, im Dezember, hätten wir in Frankfurt zwischenlanden sollen, bevor es auf die Philippinen weitergehen würde. Durch heftiges Schneetreiben war der Flug um 24 Stunden verschoben worden. Es hatte mich einige Überredungskunst gekostet, Pascal dazu zu bringen, nicht in ein Flughafenhotel zu gehen, sondern mit mir in die City zu fahren.
In dieser verschneiten Winternacht war ich Jessica zum ersten Mal begegnet. Nicht leibhaftig, aber ihre Persönlichkeit war in dem weitläufigen Haus spürbar gewesen. Eine Jugendstilvilla, in der jede Wandfarbe, jeder Teppich, jedes Möbelstück von Jessica ausgesucht worden war. Pascal hatte kein Interesse daran gehabt, irgendetwas zu verändern. Während ich durch die Räume strich und sein Unbehagen spürte, dass wir uns hier aufhielten, war ich von Jessicas Geschmack, ihrem stilsicheren Auge beeindruckt gewesen. Trotzdem strahlte die Villa Kälte, fast etwas Bedrohliches aus. Um der frostigen Stimmung zu entgehen, hatte Pascal mich an seinen Lieblingsplatz mitgenommen, vor den offenen Kamin. Ein prächtiges Feuer hatte gebrannt, er war mit einer Flasche Wein aus der Küche gekommen, auf dem flauschigen Fell hatten wir es uns gemütlich gemacht. Pascal erzählte, dass Jessica beruflich stets auf eigenen Füßen gestanden habe. Als deutlich wurde, dass ihre Ehe zu Ende ging, waren sie übereingekommen, dass er ihr vor der Scheidung ihren Anteil der Villa abkaufen würde.
»Heute kann ich mir kaum noch erklären, warum ich das getan habe.« Pascal hatte meinen Nacken sanft berührt. »Mich verbindet nichts mehr mit diesem Haus. Ich bin viel lieber bei dir.«
»Warum verkaufst du es dann nicht?«
»Vielleicht mache ich das.« Er küsste mich. »Eines Tages, schon bald, werden wir unser gemeinsames Haus haben, unser Nest, unser Versteck, wo uns keiner findet.«
Ich hatte seine Worte für romantisches Geflüster gehalten, doch der Wunsch, mit Pascal einen Platz zu finden, der unser Heim sein sollte, mit ihm Kinder zu haben, war verlockend gewesen. In dieser Nacht, während wir auf unseren Weiterflug warteten, hatten wir das leidenschaftlichste Erlebnis mitei n ander genossen, an das ich mich erinnern konnte. Erst im Morgengrauen fielen wir in einen erschöpften Schlaf. Davon erzählte ich Dora nichts, sondern nur, dass es bei diesem einzigen Aufenthalt in der Villa geblieben war. Seitdem hatte ich das Haus nie wieder betreten.
»Glaub mir, Dora, nirgends könnte es derzeit gemütlicher für mich sein als bei euch«, beendete ich meinen Ausflug nach Frankfurt. »In ein paar Tagen muss ich sowieso nach Toronto zurück. Wenn ihr mich so lange hier aushalten könnt, wäre ich froh.«
Dora streichelte meine Wange. »Du kommst ganz nach deiner Mutter.« Sie lächelte. »Wenn ich mir vorstelle, mir wäre das pas siert – ein Millionär, Champagnercocktails, Stretchlimousinen …« Sie verdrehte schwärmerisch die Augen.
»Wir wissen, was du dann getan hättest«, schmunzelte Ernie.
»Zuallererst hätte ich einen Sesselpupser wie dich sitzen lassen«, gab sie zurück. »Nein, ich hätte dich zu meinem Chauffeur degradiert.«
Früher hatte Dora lange Abende durchzechen können, und kaum einer war vergangen, ohne dass sie einen Musiker oder eine Combo fand, die für sie alte Schlager spielten. Dann hatte sie inbrünstig und laut gesungen, manchmal zum Leidwesen meiner Eltern, die Doras Auftritte peinlich fanden. Diesmal wurde sie früh müde, ihre Ausrede war, dass zu Hause der Pie auf uns wartete. Ich zahlte, in Doras klapperiger Limousine fuhren wir heim. Auf dem Parkplatz wurde rangiert, Scheinwerfer strahlten in alle Richtungen, Dieselgestank lag in der Luft.
Ich ging auf mein Zimmer, die dünnen Wände ließen mich das Gespräch der beiden belauschen. Dora redete, Ernie gab manchmal einen Laut von sich, der ihren Monolog wieder in Schwung brachte. Schließlich wurde es still. Ihr ganzes Leben hatte Dora sich nach dem Heiteren, Luxuriösen gesehnt und sich vorgegaukelt, sich diesen Luxus auch leisten zu können. Seit zwanzig Jahren büßte sie dafür. Trotzdem imponierte sie mir, weil sie selbst in dieser miesen Umgebung ihr Paradiesvogeldasein fortsetzte. Sie lebte mit Ernie im Exil, von Blaubeeren, die keiner mehr essen wollte.
Ich lag im Bett und starrte den Plafond an. Lichter huschten darüber hin, vor Mitternacht würden die Trucks nicht
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