Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
rutschte mir heraus, bedeutete sie doch, dass ich die Möglichkeit in Erwägung zog. Nach den Monaten, in denen ich hatte glauben wollen, Pascal lebte, nach den letzten Tagen, in denen in mir die Gewissheit gewachsen war, er sei tot, traf mich die neuerliche Kehrtwendung wie ein Schlag ins Gesicht.
»Am naheliegendsten wäre, dass er sich noch in Südamerika aufhält.«
»Wieso liegt das nahe?«
»Weil er in diesem Fall kein Flugzeug besteigen musste, um unterzutauchen. Er wäre auf keinem Flughafen kontrolliert worden, sondern hätte sein Ziel auf dem Landweg erreichen können. Brasilien ist riesig, aber es gibt noch andere Länder.«
»Wollen Sie andeuten, Pascal fuhr mit mir nur nach Rio, um von dort einen besseren Fluchtweg zu haben?«
»Das nehmen wir an. Wir nehmen an, dass Pascal Zuermatt gewarnt wurde. Dass er von unseren Ermittlungen erfahren und erkannt hat, dass wir ihm auf der Spur sind. Wir nehmen an, dass er nicht panisch reagiert hat, sondern genau kalkulierte. Das schloss auch Sie in seinen Plan mit ein, Frau Zuermatt.«
»Und ich nehme an , dass Sie sich täuschen! Pascal ist tot!«
»Offiziell muss er erst für tot erklärt werden.«
»Dazu wird es bald kommen.«
»Das gilt fürs Erste nur in Brasilien. Danach wird ein deutsches Gericht den Fall neuerlich prüfen, da das sogenannte Verschollenheitsgesetz in beiden Ländern unterschiedlich angewandt wird. Es dient übrigens nicht nur dazu, eine Person davor zu bewahren, fälschlich für tot erklärt zu werden«, sagte Stein. »Es soll auch genau dieser Art von Betrug vorbeugen, mit der wir es hier zu tun haben könnten.«
»Das ist Ihre Version.« Ich verschränkte die Arme.
»Ich hoffe, Sie von meiner Version zu überzeugen, in Ihrem eigenen Interesse. Sollte sich nämlich erweisen, dass sich im Nachlass Ihres Mannes unrechtmäßig erwirtschaftetes Geld befindet, stünden Sie unter Verdacht, an der Sache beteiligt zu sein.« Freundlicher fuhr er fort: »Sie könnten einiges dazu beitragen, Ihren Mann zu finden.«
Ich antwortete nicht gleich. »Angenommen, ich ziehe Ihre Theorie in Erwägung – was sollte ich tun?«
»Bei Pascal Zuermatts Verschwinden geht es nicht nur um Geschäfte, es sind auch Gefühle im Spiel. Wo immer Ihr Mann sich aufhält, er musste Sie zurücklassen, Sie im Unklaren lassen, was wirklich geschah. Er darf Sie auch jetzt nicht kontaktieren, damit seine Tarnung nicht auffliegt.«
»Woher wissen Sie, dass er es nicht bereits getan hat? Wenn er noch lebt, warum sollte er sich nicht längst bei mir gemeldet haben?«
»Weil man heutzutage jede Telefonnummer weltweit zurückverfolgen kann. Das würde Ihr Mann nicht riskieren.«
»Bedeutet das …« Ich beugte mich vor. »Dass Sie mein Telefon anzapfen oder das meiner Tante?« Er schwieg. »Sagen Sie schon: Werde ich abgehört?«
Er hob die Brauen, seine Augen bekamen einen jungenhaften Glanz. »Ja, Frau Zuermatt, Sie werden abgehört.«
»Ich bin kanadische Staatsbürgerin!«
»Es gibt ein Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union …« Er zuckte die Schultern. »Wir bewegen uns im Rahmen der Legalität.«
Solche Dinge passieren nur im Film, dachte ich noch einmal, doch Steins Argumente klangen absolut realistisch. Seine Behörde hatte ihn losgeschickt, um ein Verbrechen aufzuklären. Trotz seiner saloppen Aufmachung wirkte er wie einer, der seinen Auftrag ernst nahm.
»Wie lange sind Sie schon hinter mir her?«
»Wie gesagt, Sie sind schwer aufzuspüren.«
»Das verstehe ich nicht.«
»In der Schweiz waren Sie zunächst in keinem Hotel eingetragen, vom Solsana erfuhren wir zu spät. Ich wollte Sie in Toronto aufsuchen, aber Sie haben es ja bloß ein paar Tage dort ausgehalten. Erst als Sie in Niagara Falls in die USA eingereist sind, war ich ziemlich sicher, wo ich Sie finden würde.«
»Ich besuche meine Tante!«
»Ihre vorbestrafte Tante.« Er legte den Kopf schief. »Entschuldigen Sie, das war leicht herauszukriegen. Sie sind so sprunghaft durch die Welt gereist, dass wir annehmen mussten, Sie haben mit der Angelegenheit etwas zu tun.«
»Und jetzt nehmen Sie das nicht mehr an?«
»Werden Sie mir helfen?«
»Ich kann Ihnen nicht helfen«, antwortete ich spontan. »Ich habe Pascal so lange gesucht, so lange daran geglaubt, dass er lebt. Gerade beginne ich mich damit abzufinden, dass er tot ist. Und jetzt kommen Sie und erzählen …« Ich presste die Lippen zusammen – um keinen Preis wollte ich vor diesem Fremden die Beherrschung
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