Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
der Tischplatte glatt. Kein Zweifel, es war seine schräg gelegte Schrift, die Buchstaben mit Bedacht gesetzt. Vielleicht stellte Licht über Maria eine gebräuchliche Wendung dar, die mir allerdings unbekannt war. Ich schaltete den Computer ein, ging online und googelte den Begriff. Es tauchte keine brauchbare Antwort auf. Ich sah mich im Zimmer um, dunkle Möbel, antik und modern kombiniert, Bücherregale bis zur Decke. Stand in einem dieser Bücher die Lösung, gab es ein Lieblingsbuch Pascals, in dem ich suchen sollte? Den Zettel in der Hand, strich ich an den Buchrücken entlang. Romane, philosophische Werke, Reiseführer. Es schien keine Ordnung zu herrschen, Bildbände mit religiösem Inhalt standen neben Comicheften.
Comics, dachte ich. Pascal und ich hatten uns auf einer Comicmesse kennengelernt. Vielleicht war Licht über Maria ein Schlüssel, zu dem ich nun das Schloss suchen musste. Ich rückte einen Stuhl vor die Regalwand, stieg darauf und holte die Comichefte aus dem Fach. Ich legte sie auf den Boden, den nächsten Stapel daneben und so weiter, bis ich sämtliche Comics zu meinen Füßen ausgebreitet hatte. Der offene Safe, der Stein auf dem Tisch, der Zettel und die Hefte – sollte jetzt jemand hereinkommen, würde man mich für verdächtig halten. Ich brachte alles wieder in Ordnung und schloss den Safe.
David fiel mir ein. Ich hätte ihn längst anrufen sollen, ihm sagen, dass es mir gutging, dass ich mit meiner Suche vorankam. Ich entschied mich anders, setzte mich auf den Boden und schlug das oberste Heft auf.
Ein Sandwich in der Küche, im Haus herrschte Stille. Nachdem ich zahllose Comics durchgeblättert hatte, war ich um nichts klüger geworden. Ich wusch das Geschirr und wischte die Arbeitsplatte sauber. Jessicas Geschmack war hier überall spürbar. Ich saß auf einem Barstuhl aus Chrom, die Ellbogen auf die helle Marmorplatte gestützt, alles strahlte Kühle aus. Wer war die Person, die entschieden hatte, dass die Küche so und nicht anders sein sollte, dieser kühle Mensch – wer war Jessica? Sie war ein Phantom zwischen Pascal und mir gewesen. Seine Beziehung zu ihr, die immerhin zwölfjährige Ehe, stellte ein Gebiet auf der Landkarte seines Lebens dar, von dem er kaum etwas preisgegeben hatte. Pascal und Jessica hatten die Firma gemeinsam gegründet, Jessica war allerdings nach ein paar Jahren ausgestiegen, um beruflich eigene Wege zu gehen. Die Scheidung sei der logische Schlussstrich unter ein Kapitel gewesen, das ihnen beiden nichts mehr bedeutet habe, so Pascal. Hatte er seine Ehe nur so dargestellt, um es mir leichter zu machen, seinen Heiratsantrag anzunehmen? Nachdem wir ein paarmal miteinander ins Bett gegangen waren, hatte ich ihm klipp und klar gesagt, ich würde mich nicht in seine Ehe drängen, niemals eine langjährige Partnerschaft kaputtmachen. In den Wochen darauf hatte er alles getan, mir zu beweisen, wie leicht dieses Bündnis aufzulösen war.
Warum hatte ich kein einziges Mal versucht, Jessica kennenzulernen? War es mir lieber so gewesen, scheute ich die Begegnung mit ihr, weil ich den Vergleich scheute? Sie, die erfolgreiche Geschäftsfrau mit dem exquisiten Geschmack, ich, die schlichte Übersetzerin in Jeans und Turnschuhen, in deren Wohnung die Stile wild durcheinandergewürfelt waren. Wie war Pascal aus gerechnet auf mich verfallen? Der Altersunterschied konnte es nicht gewesen sein – ein Mann wie er hätte interessantere, hübschere Frauen für sich gewinnen können. Meinem IQ schrieb ich es auch nicht zu, für besonders witzig oder geistreich hielt ich mich nicht. Was hatte Pascal an mir gefunden? In Jessicas spiegelnder Küche stand die Frage plötzlich mit einer Deutlichkeit vor mir, dass mich schauderte. Da mein Mann sie nicht mehr beantworten konnte, gab es nur eine Person, die zu fragen sich lohnte.
Heute ist der Tag dafür, dachte ich, deshalb bist du hier: Du wolltest dich den Dämonen stellen. Tue es gründlich und wundere dich nicht, wenn die vergangenen Jahre plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Es war eine Sache von Minuten, Jessicas Telefonnummer herauszukriegen, schwieriger schien es, zu telefonieren. Ich hatte nur mein amerikanisches cellphone dabei, es wäre unsinnig gewe sen, mit einem kanadischen Handy von Frankfurt aus jemanden in Frankfurt anzurufen. Ich zögerte, das Festnetz in der Villa zu benutzen, Steins Leute hatten die Leitung womöglich angezapft. Andererseits wusste der Ermittler bestimmt, dass ich hier war.
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