Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
Was würde ein Anruf bei Jessica schon aussagen? Ich ging in Pascals Arbeitszimmer und wählte ihre Mobilnummer.
Nur ein Klingelton, dann hob jemand ab. »Ja?« Die Stimme klang neugierig.
»Jessica?«
Eine Pause. »Sind Sie in der Villa?«
»Woher wissen Sie … ach, die Nummer. Ja, ich wusste, wo der Schlüssel liegt.«
»Guten Tag, Frau Zuermatt«, sagte sie mit unüberhörbarem Unterton.
»Guten Tag, Frau Zuermatt«, gab ich zurück.
»Ich heiße nicht mehr so.«
»Ich weiß. Sie haben Ihren Mädchennamen …«
»Was wollen Sie?«
»Es geht um Pascal. Jemand vom Betrugsdezernat hat mit mir gesprochen.« Ich wartete, wie sie reagieren würde.
»Nicht einmal im Tod lassen sie ihn in Ruhe.«
Jessica musste nicht nur wissen, dass Pascal verunglückt war, sondern auch, dass die Behörde das anzweifelte. Wenn Stein es der Mühe wert gefunden hatte, mich in Niagara Falls aufzuspüren, war es für ihn viel leichter gewesen, Jessica zu befragen.
»Deshalb bin ich hier«, sagte ich. »Ich möchte beweisen …« Ein dummes Wort, es sagte das Falsche aus. Ich wusste noch nicht, sollte ich beweisen, ob Pascal ein Betrüger war, der noch lebte, oder ging es mir darum, den toten Pascal reinzuwaschen? »Was glauben Sie, wie sieht die Wahrheit aus?«
»Keine Ahnung.« Wieder eine Pause. »Wir sind seit drei Jahren geschieden.«
»Ich fände es gut, wenn wir uns treffen.« Da sie nicht antwortete, setzte ich hinzu: »Nicht in der Villa.«
»Was versprechen Sie sich davon?«
»Pascal ist für mich nur noch Erinnerung«, antwortete ich. »Ich möchte dieser Erinnerung ein klareres Bild geben. Wer war er wirklich, mit wem ist er vor mir verheiratet gewesen? Warum trinken wir nicht was zusammen?«
»Sekunde.« Sie schien den Hörer zuzuhalten und mit jemand anderem zu sprechen. Dann war die Leitung wieder klar. »Einverstanden. Ich könnte aber nur jetzt gleich«, sagte sie umgänglicher. »Heute Nachmittag habe ich ein Meeting nach dem anderen. Ab morgen bin ich nicht mehr in der Stadt.«
»Gleich?«, rief ich überrascht. »Gern, ja, danke! Wo?«
Sie schlug ein Lokal in der Innenstadt vor und legte auf.
1 5
Jessica hatte mir das Flux als Bistro beschrieben, das direkt am Main lag, ich nahm ein Taxi dorthin. Unterwegs fühlte ich mich, als liege ein Vorstellungsgespräch vor mir. Sonst, wenn ich der Ex eines Freundes begegnet war, hatte ich lediglich ein Gefühl der Neugier gehabt. Wer war die, die er vor mir geliebt hat? Der entsprechende Mann war dann an meiner Seite gewesen, hatte den Arm um mich gelegt und gezeigt: Jetzt bist es du, die andere ist Vergangenheit. Pascal war inzwischen Vergangenheit – so sah die Wirklichkeit aus. Heute trafen sich seine beiden Frauen, und es war nicht entschieden, welche die richtige war.
Jessica traf kurz nach mir ein, ebenfalls im Taxi. Sie war schön, das wusste ich von den Fotos, sie war exquisit gekleidet, das beeindruckte mich nicht, aber die Reihe von Männern, die ihr nachstarrten. Sie ging mit markanten Schritten an den Straßentischen des Flux vorbei, trat ein, entdeckte mich und kam auf mich zu.
»Hallo, ich bin Jessica.« Ihre Stimme war wärmer, einnehmender, als ich bei ihrer Erscheinung erwartet hatte, auch ihr Blick gefiel mir. Jessica hatte tiefgrüne Augen, das naturrote Haar hatte sie in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Sie war kaum geschminkt und trug wenig Schmuck. Ihre weiße Hand fühlte sich warm an.
»Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Es klingt merkwürdig, aber darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen?« Sie setzte sich neben mich auf die Lederbank.
»Müssten wir das nicht gegenseitig tun?«
»Die Zeit ist das Einzige, das eine Beziehung definiert.« Sie hob nur die Augenbrauen, schon näherte sich der Kellner. »Sie sind seine Frau. Mich hat die Zeit aus seinem Leben hinausgeschwemmt.«
Die Bemerkung hätte ich bei ihr nicht erwartet und war angenehm überrascht.
»Wenn Sie mir Ihr Beileid aussprechen, heißt das, Sie halten ihn für tot?«
»Da gibt es nicht den geringsten Zweifel.« Ihr Blick war ehrlich. »Ich hätte Pascal ein anderes Ende gewünscht. Andererseits war er immer vernarrt ins Wasser. Der Tod im Meer könnte in seinem Sinn gewesen sein.«
Ich war so verblüfft, dass ich einen Augenblick brauchte, um beim wartenden Kellner ein Getränk zu bestellen. Jessica nahm Mineralwasser.
»Sie glauben also nicht, was der Mann vom Betrugsdezernat behauptet?«
»Seit Jahren versucht das Dezernat,
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