Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
mir den unbekannten Pascal offenbart, den gerissenen Betrüger, das Phantom, dessen keiner habhaft wurde. Nun saß die lustige Irina in der Küche, und ich war imstande, die liebenswerte, verführerische Seite meines Mannes wiederzuentdecken.
Sie hatte davon gehört, dass für die Behörde Pascals Tod keineswegs bewiesen war. Ich erzählte ihr von Stein und seinen Ermittlungen in der Villa.
»Mein Cousin war ein Schlitzohr im großen Stil, daran besteht kein Zweifel«, sagte Irina, nachdem sie eine Weile zugehört hatte. »Aber eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Es gibt auf dem Börsenpflaster keinen, der es zu etwas bringt und kein Schlitzohr ist.«
»Du glaubst nicht, dass er die … Verbrechen begangen hat, die ihm vorgeworfen werden?«
Ihr fröhlicher Ausdruck veränderte sich. »Ich sage dir, was ein Verbrechen ist: die armen Teile der Welt mit Entwicklungshilfe abzuspeisen und zugleich die Bodenschätze dieser Länder auszubeuten, damit unsere Wirtschaft floriert. Es ist ein Verbrechen, Millionen Tonnen Lebensmittel zu vernichten, um die Weltmarktpreise zu regulieren. Aber solche Verbrechen rufen nur in den seltensten Fällen das Betrugsdezernat auf den Plan.« Sie nahm den ersten Schluck Kaffee. »Pascal war kein Heiliger, aber … Hm, ich muss es anders ausdrücken: Ich will einfach dar an glauben, dass er der geradlinige Mensch war, den ich ins Herz geschlossen habe. Ich kenne Pascal seit zweiundvierzig Jahren. Ich kann mich nicht so sehr in ihm getäuscht haben.« Sie sah mich über ihre Designerbrille hinweg an. »Wie lange bleibst du hier?«
»Ich … Das habe ich noch nicht entschieden. Nicht mehr lange, glaube ich.«
»Wieso? Gefällt dir unser altes Frankfurt nicht?«
»O doch. Aber ich lebe seit Monaten in einer Zwischenwelt, angefüllt mit Angst, Zweifeln, Hoffnung und immer neuen Schauergeschichten über Pascal. Das muss ein Ende haben.« Ich brachte den Toast.
»Glaubst du, dass du die Vergangenheit loswirst, wenn du vor ihr davonläufst?«
»Ich laufe vor gar nichts davon. Ich will nur nach Hause und endlich wieder arbeiten.«
Irina griff zu und aß mit Appetit. Seit meiner Ankunft war es das erste Mal, dass in dieser Küche eine gemütliche Atmosphäre entstand. »Wie läuft es bei dir so?«
»Gut, wie immer. Antiquitäten kommen nie aus der Mode. Und der Kunstmarkt boomt. Wir versteigern Kunst wie die warmen Semmeln.«
»Ich wäre gern einmal bei so einer Auktion dabei.«
»Jederzeit. Begleite mich doch einfach.«
»Wie ich schon sagte, mein Koffer ist gepackt. Ich schaute in den Garten. »Schon merkwürdig. Obwohl das Pascals Villa ist, gelingt es mir nicht, mich hier wohlzufühlen.«
»Natürlich nicht. Das ist ein Geisterhaus«, antwortete sie mit der größten Selbstverständlichkeit.
»Was willst du damit sagen?«
»Das Haus strahlt Jessicas Charaker aus. Sie hat alles hier gestaltet. Und als es fertig war, ist sie aus Pascals Leben verschwunden. Er hat die Villa nie gemocht. Er war nicht gern hier.«
»Das hat er dir gesagt?«
»Am liebsten auf der Welt war Pascal in deiner miefigen Zweizimmer-Bude.« Sie lächelte. » Das hat er mir gesagt.«
»Und Robbie?« Die Frage drängte sich auf. »Hat er sich hier nicht mit Robbie getroffen?«
Ihr Blick war voll Verständnis. »Hast du es also inzwischen herausgekriegt?«
Ich nickte. »Wie erklärst du dir, warum dein toller Cousin mir das verschwiegen hat? Warum er mich die ganze Zeit von Frankfurt fernhielt und von seinem Kind?«
»Von wem weißt du es?«
Ich spürte, dass Irina der Antwort auswich, drängte sie aber nicht. »Von Robbies Mutter.«
»Du hast Jessica gesprochen?« Sie war ehrlich verblüfft.
»Warum nicht?« Ich musterte Irina und rief mir daneben Jessica vor Augen. Beide Frauen waren cool, attraktiv, beruflich erfolgreich, doch während Irina Wärme ausstrahlte, beherrschte Jessica lediglich die Mimikry der Freundlichkeit, ohne dabei ihr Herz zu öffnen. »Erzähl mir von Robbie. Was ist er für ein Junge?«
»Ich habe ihn nur ein- oder zweimal gesehen, da war er noch ein Baby. Seit Pascal mit Jessica zusammen war, ist unser Verhältnis leider ziemlich abgekühlt.«
»Wieso?«
»Weil ich sie nicht mag.«
»Was gefällt dir nicht an ihr?«
Irina schluckte einen Bissen, bevor sie antwortete. »Sie ist gefährlich.« Ich brauchte nicht weiter zu fragen, das Thema brachte sie in Fahrt. »Jessica will immer die Fäden ziehen. Vor allem will sie Macht über jeden, der von Bedeutung
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