Das Echo der Schuld
dass sie lebt.«
»Davon gehen wir selbstverständlich ebenfalls aus«, stimmte ihr Baker zu, doch sie fragte sich, ob er tatsächlich so überzeugt war, wie er sich den Anschein gab.
Nach einem Augenblick, in dem sie alle schwiegen, fragte Frederic unvermittelt: »Wollten Sie nicht auch mit Nathan Moor sprechen, Superintendent?«
Baker nickte. »Ich bin noch nicht dazu gekommen.« Er wandte sich an Virginia. »Mr. Moor weiß natürlich, dass Ihre Tochter verschwunden ist«, sagte er.
»Natürlich. Aber was wollen Sie damit sagen?«
»Gar nichts«, meinte Baker, »es war lediglich eine Feststellung. «
»Wann werden Sie denn mit Moor sprechen?«, drängte Frederic.
»So bald wie möglich, Mr. Quentin, das kann ich Ihnen versichern. Ich hätte es bereits getan, es kam dann jedoch etwas dazwischen …«
Frederic sah ihn fragend an.
»Heute Mittag war ein achtjähriges Mädchen zusammen mit seiner Mutter bei mir«, erzählte Baker. »Die Kleine ist vor knapp zwei Wochen von einem Mann angesprochen worden, der – getreu dem Muster, das wir inzwischen zu kennen glauben – als Erfüller ihrer größten Wünsche aufgetreten ist. Es ist einem Zufall zu verdanken, dass sie bislang nicht in sein Auto gestiegen ist, und es ist ebenfalls ein Zufall, dass das Kind sich schließlich seiner Mutter anvertraut hat. Wegen des Gesprächs mit dem Mädchen musste ich die Befragung Mr. Moors verschieben.«
»Dann gibt es jetzt eine Beschreibung des Täters?«, fragte Frederic.
Baker wiegte bedauernd den Kopf. »Leider ist die nicht allzu präzise. Als ich vorhin fortging, wurde gerade versucht, eine Phantomzeichnung anzufertigen, aber das Mädchen ist so aufgeregt, und es ist ja auch schon etwas Zeit vergangen, seitdem es den Mann gesehen hat – die Angaben erscheinen mir ziemlich widersprüchlich und ungenau. Aber immerhin haben wir einen allerersten Ansatzpunkt.«
»Mit unserem Fall hat das jedoch nichts zu tun«, sagte Virginia.
»Ich vermute – nein«, sagte Baker.
»Was tun Sie als Nächstes? Was sollen wir tun?«, fragte Frederic, als Baker seinen Notizblock einsteckte und Anstalten machte, sich zu erheben.
»Ich spreche mit Moor, ich spreche mit den Lehrern und mit den Klassenkameraden«, sagte Baker, »und wir lassen die Suchmannschaften weitersuchen. Sie selbst können im Moment leider gar nicht viel machen – nur die Nerven bewahren. Und es sollte immer jemand daheim sein, falls sich der Anrufer wieder meldet. Wenn das geschieht, informieren Sie mich bitte sofort.«
»Selbstverständlich«, sagte Frederic. Er begleitete Baker und die anderen Beamten zur Tür. Virginia blieb in ihrem Stuhl sitzen, sie konnte noch immer nicht aufstehen.
Als Frederic zurückkehrte, suchte sie in seinem Gesicht nach einem Ausdruck, der ihr etwas über seine Gefühle verraten würde, aber seine Züge waren vollkommen verschlossen. Er schien nicht bereit, seine lähmende Angst um sein einziges Kind mit ihr zu teilen. Sie hatte ihn zu sehr verletzt. Auch die Tragödie, die sie nun zusammen erlitten, brachte ihn ihr nicht näher.
»Ich gehe nach oben«, sagte er, »ich möchte von dort mit der Bank telefonieren.«
»Wegen …«
»Wegen der hunderttausend Pfund. Man soll sie dort bereitstellen. Ich will das Geld hier haben. Ich will sofort bezahlen können, wenn der Erpresser sich wieder meldet.«
»Und wenn er sich nicht mehr meldet?«
»Dann hat Baker Recht, und es gibt ihn womöglich gar nicht. Dann ist Kim nicht entführt worden, sondern …«
»… sondern hat sich verlaufen«, beendete Virginia hastig den Satz.
»Sie wird wieder bei uns sein«, sagte Frederic und verließ das Zimmer.
Bei uns, hatte er gesagt, aber das uns war ein leerer Begriff, und vermutlich wusste er das auch. Es gab kein uns mehr.
Virginia stützte den Kopf in die Hände. Sie wollte weinen, aber sie hatte all ihre Tränen am Mittag in dem kleinen Park neben der Schule geweint.
Nun war sie vollkommen leer.
7
»Sie wissen natürlich nicht mehr, wer Ihnen geholfen hat, den Wagen wieder zum Laufen zu kriegen?«, fragte Superintendent Baker.
Nathan Moor hob bedauernd die Schultern. »Nein. Tut mir leid. Es war jemand, der neben mir parkte, zu seinem Wagen zurückkam und merkte, wie ich vergeblich versuchte, mein Auto anzulassen. Er bot an, mir mit seinem Starterkabel zu helfen, und das tat er dann auch. Namen und Adressen haben wir nicht ausgetauscht.«
»Das ist schade«, meinte Baker.
»Ich ahnte nicht, dass ich ein Alibi brauchen würde«,
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