Das Echo der Schuld
sagte Nathan.
Baker schüttelte den Kopf. »Sie brauchen kein Alibi, Mr. Moor. Aber alles, was die Aussage einer Person untermauern oder gar belegen kann, ist von Nutzen.«
Sie saßen in dem kleinen Frühstücksraum der Pension, in der Nathan wohnte. Drei Holztische mit jeweils vier Stühlen, Kakteen an den Fenstern, weiße Gardinen. Ein Ölgemälde an der Wand, das ein untergehendes Schiff in stürmischer See zeigte.
Wie passend, dachte Baker. War es nicht ein Schiffsuntergang gewesen, der Nathan Moor in das Leben der Familie Quentin hineinkatapultiert hatte?
Draußen wurde es dunkel. Der Septembertag neigte sich seinem Ende zu. Schwach konnte man noch die Dünen erkennen. Dahinter lag das Meer.
Ein schöner Platz zum Wohnen, dachte Baker.
Jenseits seines beruflich begründeten Interesses an Nathan Moor war er neugierig gewesen, zu sehen, welcher Mann es geschafft hatte, in die Ehe der Quentins einzubrechen. Schon bevor die kleine Kim Quentin verschwunden war, hatte Baker Frederic Quentin aus den Medien gekannt, er war häufig in den Zeitungen oder sogar im Fernsehen zu sehen gewesen. Ein gut aussehender, sehr gebildeter und kultivierter Mann, der noch dazu über großes gesellschaftliches Ansehen und einigen Reichtum verfügte. Ein Mann, wie Baker geglaubt hätte, von dem jede Frau träumte und den die Frau, die ihn für sich gewonnen hatte, nicht so leicht wieder hergeben würde. Nun aber schien Virginia Quentin drauf und dran, aus ihrer Beziehung auszubrechen.
Was, wie Baker etwas resigniert dachte, wieder einmal geeignet war, den Unterschied zwischen Sein und Schein deutlich werden zu lassen. Vielleicht hatte hinter der schönen Fassade der Quentins nichts gestimmt.
Nathan Moor war ein Mann, der es leicht hatte bei Frauen, das war Baker auf den ersten Blick klar gewesen. Er sah nicht nur gut aus, er verfügte zudem über eine Menge Charme, den er vermutlich recht gezielt einzusetzen wusste. Auch ging eine gewisse sexuelle Aggressivität von ihm aus, die Frauen sicherlich noch viel stärker wahrnahmen als er, der nüchterne männliche Kriminalbeamte.
Ein hohes Einfühlungsvermögen, ein intuitives Gespür für die Bedürfnisse und möglicherweise die Defizite seines Gegenübers und eine latent spürbare erotische Bereitschaft.
So hätte ihn Baker beschrieben, wenn er ihn in wenigen Worten hätte charakterisieren sollen. Wobei er wusste, dass er sich damit vollkommen an der Oberfläche bewegte. Nathan Moors Tiefen oder Untiefen hatte er damit natürlich nicht im Mindesten erfasst.
»Seit wann kennen Sie Mrs. Virginia Quentin?«, fragte er nun sachlich.
Moor überlegte nicht einen Moment. »Seit dem 19. August diesen Jahres. Seit nunmehr bald drei Wochen also.«
»Vorher haben Sie niemanden von der Familie gekannt?«
»Nicht persönlich. Aber während wir im Hafen von Portree auf Skye ankerten, hat meine Frau für die Quentins gearbeitet. Im Garten und im Haushalt geholfen. Daher waren sie mir auch vorher schon ein Begriff.«
»Kim Quentin kennen Sie ebenfalls seit dem 19. August?«
»Ja.«
»Wie steht das Kind zu Ihnen?«
»Ich glaube, sie mag mich. Wobei ihr im Moment wohl noch nicht klar ist …« Er sprach nicht weiter. Baker sah ihn aufmerksam an.
»Ja? Was ist Kim nicht klar?«
Moor lehnte sich nach vorn. »Superintendent Baker, ich bin nicht sicher, ob …«
Baker wusste, worauf er hinauswollte.
»Mr. Moor, es ist mir bekannt, dass Sie intime Beziehungen zu Mrs. Quentin unterhalten. Und dass Sie beide eine gemeinsame Zukunft planen. Es erscheint mir, wie auch den Eltern des Kindes, als eine recht wahrscheinliche Möglichkeit, dass das Verschwinden der Kleinen auf genau diesen Umstand zurückzuführen ist.«
»Dann wissen Sie Bescheid«, sagte Moor, »und ich kann offen reden.«
»Darum würde ich Sie dringend ersuchen«, entgegnete Baker.
»Um auf Ihre Frage nach dem Verhältnis Kims zu mir zurückzukommen«, sagte Moor, »so denke ich, dass Kim nichts von der Affäre zwischen mir und ihrer Mutter weiß. Insofern beeinträchtigt dies nicht ihre Sympathie für mich. Kim fühlt sich von Virginia vernachlässigt, und sie hat sicher den Eindruck einer diffusen Bedrohung, die sich in ihr Leben zu schleichen beginnt. Darum ist sie schon einmal weggelaufen. Und sicher ist es diesmal aus demselben Grund geschehen.«
Baker nickte. Im Geiste machte er sich eine Notiz: Moor hatte das Wort Affäre benutzt, als er über seine Beziehung zu Virginia Quentin sprach. Da er Ausländer war und sich in
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