Das Echo der Schuld
sowie ein Aufnahmegerät am Telefon. Was die Fangschaltung anging, war Baker natürlich skeptisch. »Die Leute sind heute bestens informiert. So lange, dass wir das Gespräch zurückverfolgen können, sprechen sie im Allgemeinen nicht mehr. Dennoch kann ein Versuch nichts schaden.«
Zum ersten Mal hatte Virginia nun erfahren, was der Anrufer gesagt hatte. Vorher war es ihr gar nicht in den Sinn gekommen, Frederic danach zu fragen.
»Es war ein Mann«, erklärte Frederic, »aber mit einer völlig verzerrten Stimme. Sie erinnerte mich …«
»Ja?«, hatte Baker sofort eingehakt.
Frederic schüttelte den Kopf. »Sie erinnerte mich leider nicht an jemanden, den ich kenne, nein. Ich wollte nur sagen: Die Art, wie diese Stimme verzerrt wurde, erinnerte mich an ein Spielzeug meiner Tochter. Als sie vier war, bekam sie einen Kassettenrekorder für Kinder geschenkt. Es gibt dabei ein integriertes Mikrophon, durch das die Kinder selber singen können. Und durch verschiedene Einstellungen können sie ihre Stimme verzerren – ganz tief, ganz hell, wie auch immer. Kim hatte sehr viel Spaß damit. Und daran erinnerte mich die Stimme des Anrufers. Als ob sie auf eine eigenartige Weise verzerrt würde.«
Baker machte sich Notizen.
»Und weiter?«, fragte er.
»Er fragte, ob er mit Frederic Quentin spreche«, fuhr Frederic fort, »und als ich dies bejahte, sagte er wörtlich: Ich habe Ihre Tochter. Es geht ihr gut. Für hunderttausend Pfund können Sie sie wiederhaben.«
»Ich muss noch einmal fragen«, unterbrach Baker. »Sie konnten diese Stimme absolut niemandem zuordnen? Sie hatten zu keinem Zeitpunkt den Anflug einer Idee?«
»Nicht im Geringsten, nein. Die Stimme war so grotesk verzerrt, dass ich ohnehin Mühe hatte, den Inhalt des Gesagten zu verstehen.«
»Aber dass es sich um einen Mann handelte, da waren Sie sicher?«
Frederic hatte plötzlich gezögert. »Es war eine Männerstimme. Aber die kann natürlich auch technisch hergestellt worden sein. So gesehen, muss ich Ihre Frage verneinen, Superintendent. Ich bin nicht sicher, dass es sich um einen Mann handelte.«
»Verstehe. Wie ging das Gespräch weiter?«
»Ich fragte ihn, wer er sei. Er antwortete, das tue nichts zur Sache. Beschaffen Sie das Geld, sagte er, ich melde mich wieder. Dann legte er auf.«
Virginia stützte den Kopf in die Hände.
Dann sprachen die Männer über die Möglichkeit, dass sich ein Trittbrettfahrer an sie herangemacht hatte, der auf gut Glück die prominente Familie Quentin angerufen hatte.
»Aber Sie können nicht ausschließen, dass Kim tatsächlich entführt wurde«, sagte Virginia.
»Ausschließen können wir gar nichts im Moment«, erwiderte Baker.
»Wir stehen nicht im Telefonbuch«, sagte Frederic, »und unser Eintrag ist auch bei der Auskunft gesperrt. Woher hat dieser Typ unsere Nummer?«
»Von Kim!«, rief Virginia. Sie war erstaunt, wie schrill ihre Stimme klang. »Von Kim! Weil sie eben doch entführt worden ist!«
Baker, der ihr gegenüber auf dem Sofa saß, neigte sich ein Stück vor. »Mrs. Quentin, ich weiß, das ist leicht gesagt, aber verlieren Sie jetzt nicht die Nerven. Vielleicht ist Ihre Tochter wirklich entführt worden. Aber das würde zumindest bedeuten, dass sie nicht jenem Triebtäter in die Hände gefallen ist, nach dem wir mit Hochdruck fahnden. Denn dem geht es gewiss nicht um Geld.«
»Es ist ein Albtraum«, sagte Virginia leise, »es ist ein Albtraum. «
»Alles ist möglich«, sagte Baker, »es kann sich bei dem Anrufer sogar um einen Klassenkameraden Ihrer Tochter handeln. Oder um den großen Bruder oder die große Schwester eines Klassenkameraden. Da ist Ihre Nummer bestimmt bekannt, und am Ende haben sich ein paar Teenager einen schrecklichen und grausamen Scherz erlaubt.«
»Was tun Sie als Nächstes, Superintendent?«, fragte Frederic.
Baker ignorierte die Frage, schaute erneut Virginia an. »Wo waren Sie heute Mittag, Mrs. Quentin? Ihr Mann sagte vorhin, Sie seien kurz nach dem Anruf nach Hause gekommen?«
Sie strich sich die Haare aus der Stirn. »Ich war an Kims Schule. Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Es war … Irgendwie wollte ich an den Ort, an dem sie zuletzt gesehen wurde. Und ich hatte das Gefühl, als ob …«
Sie sprach nicht weiter.
»Ja?«, fragte Baker. »Welches Gefühl hatten Sie?«
»Als ob sie nach mir ruft. Ich konnte das ganz deutlich hören.« Sie atmete tief. »Meine Tochter lebt, Superintendent«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich bin ganz sicher,
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