Das Echo der Schuld
sie?«
Vorsichtshalber hielt er ihre Arme weiterhin umklammert. Sein harter Griff brannte wie Feuer auf ihrer Haut. »Ich habe sie nicht. Ich hatte sie nie. Ich wollte nur das Geld!«
Ihr Misstrauen und ihr Entsetzen waren zu groß. »Du wirst mir sagen, wo sie ist. Und was du ihr angetan hast. Hast du sie …«, es würgte sie in der Kehle, sie vermochte das Wort nicht auszusprechen. »Hast du ihr das Gleiche angetan wie den anderen Kindern?«
»Gott, verdammt!«, sagte Nathan. Er ließ sie los und stieß sie dabei ein Stück von sich. Sie stolperte, stürzte aber nicht. Er trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht war weiß, seine Lippen schmal. »Ich habe ihr nichts getan. Ich habe überhaupt keinem Kind etwas getan. So gut müsstest du mich kennen. Ich bin kein … Ich würde so etwas nie tun.«
Sie fühlte sich wie in einem bösen Traum gefangen. Mit mechanischen Bewegungen rieb sie ihre geröteten Handgelenke. Das Brennen war der einzige Beweis, dass sie sich in der Realität befand.
»Du hast bei uns angerufen. Du hast gesagt …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Ich wollte hunderttausend Pfund haben. Es war einfach ein … ein Einfall. Ein idiotischer Einfall. Ich hätte kein weiteres Mal angerufen. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich die Übergabe hätte organisieren sollen. Mir wurde klar, dass ich dabei garantiert geschnappt würde. Dass das alles eine … eine Schnapsidee war. Ich habe nur noch nicht dieses«, er wies auf den Kassettenrekorder, der auf dem Boden lag, »dieses Teil da entsorgt. War ein Riesenfehler.«
Die Gelassenheit, mit der er seine ungeheuerliche Tat zu einer Lappalie herunterzuspielen versuchte, machte sie fassungslos. »Du wusstest, wie verzweifelt ich bin. Welche Angst ich ausstehe. Und du hast diese Situation benutzt, um …« Ihr fehlten die Worte. Es gab nichts, womit man das, was er getan hatte, erklären konnte.
»Ich sagte ja schon, du würdest meine Beweggründe nicht verstehen«, sagte Nathan.
Ihr stiegen die Tränen in die Augen. »Was, bitte, soll denn daran zu verstehen sein?«
»Kommt dir da keine Idee?«
Sie starrte ihn an.
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Du redest doch immer von unserer gemeinsamen Zukunft. Wir beide, irgendwo, irgendwie … Aber hast du dir je Gedanken gemacht, wie es funktionieren soll? Vollkommen ohne Geld?«
»Unsere Zukunft ist doch nicht eine Frage des Geldes!«
»Nein? Dann kann ich nur sagen, du träumst offenbar in einem Märchenschloss vor dich hin. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich nichts habe. Kein Geld, kein Haus, keine Wohnung, kein Schiff mehr, nichts. Ich …«
Sie unterbrach ihn. Ihre Stimme klang rauh und in ihren eigenen Ohren seltsam emotionslos. »Du hast mir das nicht von Anfang an gesagt. Bis Frederic das Gegenteil herausfand, hast du mich zumindest in dem Glauben gelassen, du seist ein erfolgreicher Schriftsteller, dessen Tantiemen zwangsläufig irgendwann wieder zu fließen beginnen müssten.«
»Oh – und das klang gut in deinen Ohren, wie? Doch alles eine Frage des Geldes?«
Er verdrehte ganz und gar, was sie sagte und meinte, aber ihr fehlte die Kraft, sich auch darüber noch zu empören. „»Ich kann nicht verstehen, wie du diesen Weg einschlagen konntest«, sagte sie.
Er seufzte. »Ja. Das wusste ich. Es war einfach ein … ein Gedanke, wie wir zu einem Startkapital kommen könnten. Ein blöder Gedanke, ein saublöder Gedanke, den ich, wie gesagt, längst wieder verworfen hatte.«
»Aber war dir nicht klar, was du da tust? War dir nicht klar, in welchem Zustand Frederic und ich uns im Moment befinden? Dass dieser Anruf eines vermeintlichen Entführers uns Hoffnung gemacht hat? Dass wir voller Verzweiflung gewartet haben, dass er sich wieder meldet? Frederic ist heute in London, um das Geld zu holen. Ich saß daheim und bin fast durchgedreht.« Jetzt liefen ihre Augen über. Die Tränen ließen sich nicht länger zurückhalten, und es waren Tränen der Fassungslosigkeit und der Wut. »Kein Mensch, der auch nur einen Funken Anstand besitzt, hätte so etwas tun können!«, rief sie.
Er machte einen Schritt auf sie zu, aber sie wich zurück, stand nun mit dem Rücken direkt am Fenster. »Fass mich bloß nicht an!«, fauchte sie.
Wieder hob er die Schultern. »Aber dafür bist du doch wahrscheinlich hergekommen«, sagte er, »damit ich dich in die Arme nehmen und trösten kann.«
»Glaubst du, ich will jetzt noch von dir getröstet werden?«
»Meine Güte«, erwiderte er
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