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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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sah ihren Mann an. »Das macht ihn aber noch nicht zu einem Kindermörder.«
    »Auch nicht zu einem Entführer?«
    Sie senkte den Blick.
    Frederic neigte sich über den Tisch auf sie zu. »Was weißt du eigentlich über den Mann, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen wolltest?«, fragte er.
    Sie antwortete nicht. Alles, was sie auf diese Frage hätte erwidern können, wäre als Rechtfertigung völlig untauglich gewesen.
    Frederic wartete einen Moment, dann begriff er, dass sie nichts sagen würde. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
    »Warum nur?«, fragte er. »Wenn ich nur verstehen könnte, warum!«
    Sie sah ihn wieder an, brauchte viel Kraft dazu. »Ist das ein Thema, das wir jetzt klären müssen?«
    »Irgendwann sollten wir es tun.«
    »Damals, als wir in dem Cafe saßen, an dem Tag, an dem … Kim verschwand, da hast du mich auch schon nach dem Warum gefragt. Ich habe versucht, es dir zu erklären. Wahrscheinlich hast du es nicht verstanden. Vielleicht kann man es auch gar nicht verstehen.« Sie schluckte. »Ich habe mich in Nathan Moor verliebt«, sagte sie leise, »zumindest dachte ich, ich hätte mich in ihn verliebt. Was in der Wirkung zunächst einmal das Gleiche ist.«
    Frederic rieb sich die Augen. Sie sahen gerötet und noch müder aus als zuvor.
    »Und jetzt? Liebst du ihn nicht mehr? Oder denkst, ihn nicht mehr zu lieben?«
    Virginia schwieg eine ganze Weile. Sie starrte auf das Milchglas, das vor ihr stand, aber sie sah es nicht. Sie sah Nathan und sich. In Dunvegan auf Skye. Sah das Kaminfeuer und die Kerzen. Roch den Wein. Sah seine Augen und sein Lächeln und spürte seine Hände auf ihrem Körper. Fühlte den abgrundtiefen Schmerz des Verlustes und der Enttäuschung. Hätte viel darum gegeben, diese Stunden noch einmal erleben zu dürfen. Und wusste doch, dass sie vorbei und niemals wiederholbar waren.
    »Jetzt denke ich«, sagte sie, »dass man Liebe manchmal verwechselt. Mit irgendwelchen Emotionen, nach denen man sich gerade sehnt. Nathan hat mir das Gefühl gegeben, wieder lebendig zu sein. Und ich habe lebendig mit Liebe verwechselt.«
    »Sich lebendig fühlen ist viel. Wenn er dir das gegeben hat, hat er dir sehr viel gegeben.«
    Sie wusste, dass das stimmte. Nathan Moor hatte ihr, trotz allem, eine Tür geöffnet, die sie allein nicht hätte aufstoßen können.
    »Nathan und ich«, sagte sie, »haben keine gemeinsame Zukunft mehr. Unabhängig davon, was aus uns beiden wird. Wenn es das ist, was du wissen möchtest.«
    »Das und vieles mehr«, entgegnete Frederic.
    Sie schob das Glas zurück und stand auf. Sie konnte nicht länger in dieser Küche sitzen. Schon wurde ihr das Atmen wieder schwer. Wie am Morgen.
    »Mir ist plötzlich …«, begann sie und rang nach Luft.
    Frederic war sofort neben ihr. Er hielt sie fest. Sie konnte seine Stimme dicht an ihrem Ohr hören.
    »Atme ganz tief. Ganz ruhig. Atme, so tief du kannst!«
    Tatsächlich gelang es ihr, wieder Sauerstoff in ihre Lungen zu bringen. Das Rasen ihres Herzens beruhigte sich ein wenig. Das Bedürfnis, hinauszulaufen, den Wänden um sie herum zu entkommen, verebbte.
    »Danke«, flüsterte sie.
    »Deine Lippen sind ganz grau«, sagte Frederic, »und deine Pupillen sind riesig.«
    Sie starrte ihn an. Wie sollte sie ihm die Bilder erklären, die sich plötzlich wie rasend durch ihren Kopf bewegt hatten? Nathan und sie; Skye; sie beide im Auto; Kim, wie sie verängstigt und frierend in ihrem Baumhaus kauerte; Grace, die glühend vor Fieber durch das verlassene Schulgebäude irrte und das Kind suchte; Tommis strahlendes Gesicht; Tommi im Krankenhaus; der zarte Körper, der zwischen Dutzenden von Schläuchen fast verschwand; Tommis Mutter; ihre erloschenen Augen.
    Auf einmal begann Virginia zu weinen. So heftig, als breche der Schmerz von Jahrzehnten hervor. Sie zitterte, klammerte sich an Frederics Schultern. Sie weinte, als könne sie niemals wieder aufhören.
    Jetzt vernahm sie seine Stimme wie aus weiter Ferne. »Beruhige dich, Virginia! Beruhige dich doch!«
    Sie versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur Wortfetzen hervor. »Nathan«, gelang es ihr endlich zu sagen, »Nathan … es war, weil … er gefragt hat. Weil er nach Michael gefragt hat …«
    »Er hat nach Michael gefragt? Nach deinem Exfreund, der damals spurlos verschwunden ist?«
    Irgendwie landete sie wieder auf ihrem Stuhl. Sie weinte noch immer, aber nicht mehr so, als werde sie von ihren eigenen Tränen davongeschwemmt.
    Sie sah Frederic, der vor ihr

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