Das Echo der Schuld
festgestellt hatte, wie spät es schon war.
»Warum willst du nicht mit mir leben?«, fragte sie zurück. Er seufzte tief. »Du weißt, warum. Es geht einfach nicht. Nicht mehr.«
»Und warum wolltest du mich heute Abend treffen?« »Weil ich dich nicht vergessen kann.«
Und ich dich auch nicht, dachte sie zornig, aber im Grunde liegt das nur daran, dass Michael mich zu Tode langweilt. Nur von diesem Umstand hast du heute profitiert, nur davon!
Sie schwang die Beine aus dem Bett, suchte ihre zerknüllte Wäsche zusammen. »Das wird sich nicht wiederholen, Andrew. Bitte. Ruf mich nicht mehr an.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht!«, sagte sie fest, verließ das Zimmer und widerstand der Versuchung, die Tür hinter sich zuzuschmettern.
Während der ganzen Heimfahrt ärgerte sie sich. Er hatte sie herbeizitiert wie ein kleines Mädchen, und sie war auch tatsächlich wie auf Kommando gesprungen.
Ich muss das ein für alle Mal beenden, dachte sie.
Es war nicht weit bis St. Ives, aber diesmal schien sich der Weg endlos zu dehnen. Es war fast elf Uhr! Womöglich war Michael bereits daheim, und was sollte sie dann sagen? Sie konnte dann nur etwas von einem spontanen Treffen mit einer Freundin erzählen und zu Gott beten, dass er nicht ausgerechnet diese Freundin in den nächsten Tagen traf. Außerdem musste sie noch unter die Dusche. Sogar sie selbst konnte den Geruch der Liebe an sich deutlich wahrnehmen, um wie viel stärker musste ihn ein anderer empfinden.
Sie fuhr viel schneller, als es erlaubt war, geriet aber zum Glück nicht in eine Verkehrskontrolle. Als sie in die Einfahrt ihres Hauses bog, schaute sie sofort nach oben, konnte aber nirgends ein Licht erkennen. Entweder Michael schlief schon – was unwahrscheinlich war, solange er nicht wusste, wo sie steckte –, oder sie hatte mehr Glück gehabt, als sie verdiente: Er war noch nicht daheim.
Sie parkte das Auto am Hang, genauso, wie er es am Nachmittag abgestellt hatte, sprang hinaus und lief zum Haus hinüber. Sie schloss die Tür auf, knipste das Licht an und rief unsicher: »Michael? Bist du da?«
Niemand antwortete. Sie warf ihre Handtasche in eine Ecke, hastete ins Bad, streifte all ihre Kleider ab und vergrub sie ganz unten im Wäschekorb. Kaum hatte sie geduscht, hörte sie, wie die Haustür aufgeschlossen wurde. Michael kam zurück.
Sie hüllte sich in ihr Handtuch und lehnte sich für einen Moment tief seufzend gegen die kühlen Kacheln der Badezimmerwand.
Sie hatte Glück gehabt, aber es war eine entwürdigende Situation, in die sie sich da gebracht hatte. In diesem Moment war sie fest entschlossen, etwas an ihrem Leben zu ändern. Sie würde sich entweder ganz und gar auf Michael einlassen oder sich von ihm trennen.
Wahrscheinlich eher trennen, dachte sie.
7
Ein einziges Licht nur brannte in der Küche. Virginia saß regungslos auf ihrem Stuhl. Die ganze Zeit über, während sie sprach, hatte sie sich nicht bewegt. Sie hatte mit einer seltsam monotonen Stimme gesprochen, hatte sich selbst wie aus der Ferne zugehört.
Nun schwieg sie, starrte an Frederic vorbei, zum Fenster hinaus in die Dunkelheit.
Nach einer Weile, in der kein anderer Laut zu hören war als das leise Brummen des Kühlschranks, sagte Frederic: »Du hast den Wagen zuletzt gefahren. Nicht Michael, wie du ihn hast glauben lassen. Du warst es.«
Sie sah ihn nicht an. »Ja. Ich war es. Und ich war es auch, die vergessen hat, das Auto abzuschließen. Ich stellte es ab und rannte ins Haus, und am nächsten Morgen konnte der kleine Tommi ohne Probleme einsteigen.«
»Und das alles hast du Nathan Moor erzählt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. So weit sind wir nicht gekommen. Er kennt nur die Vorgeschichte. Meine Kindheit und Jugend mit Michael. Die Affäre mit Andrew. Tommis Tod. Er weiß nicht, dass …«
»… dass Michael schuldlos war«, vollendete Frederic.
Sie nickte.
»Mein Gott«, sagte Frederic, »von diesem Andrew wusste ich ja bislang auch nichts.«
Sie winkte ab. »Es ist so lange her. Er war wirklich nur eine Affäre, auch wenn ich mir einbildete, er sei meine große Liebe. Ein verheirateter Mann. Der sich nicht entschließen konnte, Frau und Kind für mich zu verlassen.«
»Wie banal«, sagte Frederic.
Sie schwiegen beide. Schließlich fuhr Frederic fort: »Mit der Treue hast du es noch nie sehr genau genommen, scheint mir.« Was sollte sie darauf erwidern?
»Ich habe Michael mit Andrew betrogen«, sagte sie, »aber das war nicht das
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