Das Echo der Schuld
Schule.«
»Nein«, sagte Walker. Er zupfte erneut an seiner Krawatte.
»Sie waren viel eher dort, als das Ihrer Frau von Ferndale aus, noch dazu in ihrem kranken und fiebrigen Zustand, gelingen konnte. Kim stand vor dem Schultor und wartete. Es gibt mehrere Zeugen, die das bestätigen können. Sie hatten leichtes Spiel. Kim kennt Sie und vertraut Ihnen. Sie wunderte sich kein bisschen, dass Sie kamen, um sie abzuholen. Ohne zu zögern, stieg sie in Ihr Auto.«
»Das ist doch absurd«, knurrte Walker. Sein Gesicht war nun stark gerötet. Er lockerte endlich seine Krawatte.
Bakers Stimme wurde sehr leise. Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, dass sich auch Stella anstrengen musste, ihn zu verstehen. »Und was geschah dann, Mr. Walker? Sie saßen in Ihrem Auto. Neben Ihnen dieses kleine Mädchen. Sie fuhren einen Lastwagen. Der hat keinen Rücksitz. Sie konnten Kim nicht nach hinten setzen. Hätte Ihnen die Distanz geholfen? So saß sie gleich neben Ihnen. Sie war nass vom Regen. Verstärkte dies den Geruch ihrer Haut? Ihrer Haare? Sie plapperte. Sie lachte. Was geschah da mit Ihnen, Jack? Sie haben diese Sehnsucht in sich, nicht wahr? Diese Sehnsucht nach kleinen Mädchen. Nach diesen zarten Körpern, den weichen Haaren. Nach dieser Unschuld, die doch schon unverkennbar weiblich ist. Sie saßen da in Ihrem Lastwagen, und auf einmal …«
»Nein!«, sagte Jack scharf. Mit einem plötzlichen, heftigen Ruck zerrte er sich die Krawatte vom Hals.
»Nein!«, schrie er. »Nein! Nicht Kim! Ich habe Kim nicht angerührt! Ich schwöre es bei Gott! Ich habe Kim nicht angerührt! Nein!«
Und dann warf er sich nach vorn über den Tisch, barg das Gesicht in den Händen. Seine breiten Schultern bebten. Jack Walker weinte wie ein kleines Kind.
3
Sie rasten die sonnige Landstraße entlang. Mehrere Polizeiwagen. Im vordersten saßen Superintendent Baker und Stella. Stella lenkte.
»Ich bin schneller«, hatte sie zu Baker gesagt und ihm den Autoschlüssel aus der Hand genommen, »ich habe weniger Skrupel.«
Tatsächlich fuhr sie so, dass die anderen Mühe hatten, mitzuhalten. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille. Selbst im Profil verrieten ihre fest aufeinander gepressten Lippen eiserne Entschlossenheit.
Nachdem Jack Walker zusammengebrochen war, hatten sie zwar keine Mühe mehr gehabt, ihn zum Geständnis der Morde an Sarah Alby und Rachel Cunningham zu bewegen. Auch gab er ohne Umschweife zu, Janie Brown in jenem Schreibwarenladen angesprochen zu haben – in der Absicht, sie ebenfalls in sein Auto und damit in seine Gewalt zu locken. Aber er blieb wirr, was Kim anging. Er konnte nicht über sie sprechen, ohne dass es ihn schüttelte vor Schluchzen, und teilweise waren seine Ausführungen kaum verständlich.
»Ich habe sie geliebt! Ich habe sie doch geliebt! Nie würde ich ihr ein Haar krümmen! Niemals! Niemals!«
»Sie haben sie vorgestern an der Schule abgefangen?«
»Ja.«
»Und in Ihrem Auto mitgenommen.«
»Ja.«
»Und wohin sind Sie mit ihr gefahren? Walker? Wohin?«
»Ich habe ihr nichts getan!«
»Wo ist sie?«
»Sie ist mein Püppchen. Meine Prinzessin. Ich könnte ihr niemals wehtun!«
»Wo ist sie, Walker, verdammt?«
»Ich kann nichts dafür. Es überkommt mich. Ich will es nicht. Bitte, glauben Sie mir. Ich will den Kindern nichts antun. Ich wünschte … Ich wünschte …«
»Was?«
»Ich wünschte, ich wäre nie geboren worden«, hatte Jack Walker hervorgestoßen und wieder so heftig zu weinen begonnen, dass minutenlang überhaupt nicht mit ihm zu reden gewesen war.
Es schien für Jack Walker eine ungeheure Erleichterung zu bedeuten, sich endlich einem anderen Menschen öffnen zu dürfen, sowohl was seine Veranlagung anging als auch die Ermordung der beiden Mädchen. Bis in die letzten Details hinein wollte er sich von der Last seiner Schuld wenigstens so weit befreien, dass er sie nicht mehr allein herumtrug. Baker hätte traumhafte Geständnisse haben können, die Antwort gaben auf alles, was er wissen wollte. Jack Walker hätte Stunde um Stunde geredet, von seiner Kindheit und Jugend in einer spießigen, nach außen hin intakten, aber im Innersten dysfunktionalen Familie angefangen, über das Erwachen seiner schrecklichen sexuellen Neigungen und seinen Bemühungen, diese zu bekämpfen, bis hin zu den Verbrechen, die er dann begangen hatte, als es ihm schließlich nicht mehr gelang, seine Triebhaftigkeit zu unterdrücken.
»Ich wollte die Mädchen nicht umbringen! Das müssen Sie
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