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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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angeboten, weiterhin in Ferndale zu wohnen, aber erwartungsgemäß wollte Grace nur noch fort. Mit nicht mehr als zwei Koffern und einem Gitterkorb, in dem ihre Katze saß. Fort, irgendwohin, wo sie sich noch auf die Straße trauen und versuchen konnte, das Entsetzen zu überleben, in das ihr Mann sie gestürzt hatte.
    Virginia räumte die Teller zusammen, kratzte die Essensreste in den Mülleimer und schrak zusammen, als sie plötzlich hinter sich ein Geräusch vernahm. Sie fuhr herum und sah Nathan Moor, der in der Tür stand.
    Er war noch immer braungebrannt, die wenigen Tage, die er in Untersuchungshaft hatte verbringen müssen, hatten seinem gesunden Aussehen keinen Abbruch getan. Er trug einen Pullover, der ihm in gewohnter Weise an den Schultern zu eng war, und als Virginia genauer hinsah, erkannte sie, dass es sich um einen Pullover von Frederic handelte, der stets in Dunvegan im Schrank gelegen hatte. Nathan hatte sich, als sie dort gewesen waren, offensichtlich wieder einmal bedient.
    Sie starrte ihn fassungslos an, unfähig, ein Wort herauszubringen, und schließlich war er es, der das Schweigen brach.
    »Hallo, Virginia«, sagte er, »darf ich reinkommen?«
    Sie fand endlich ihre Fassung wieder.
    »Wo kommst du her? Warum bist du nicht mehr im Gefängnis?«
    Er schien die Tatsache, dass sie mit ihm sprach, als Einverständnis zu werten, dass er die Küche betreten durfte, denn schon war er drin und schloss die Tür hinter sich. »Ich komme aus der Stadt. Und das Gefängnis … Es besteht kein Verdacht mehr gegen mich.«
    Sie war zurückgezuckt, als er die Tür schloss. Am liebsten hätte sie gesagt, er solle sie sofort wieder öffnen, aber sie mochte ihm nicht zeigen, wie nervös sie war. Er schien es dennoch zu spüren, denn er lächelte.
    »Hast du Angst vor mir?«
    »Frederic ist …«
    »Frederic ist eben weggefahren«, unterbrach Nathan, »oder glaubst du, ich wäre hier hereinspaziert, ohne sicherzugehen, dass du allein bist?«
    »Er kommt jeden Moment zurück.«
    Nathan lächelte erneut. Sein Lächeln war weder kalt noch böse, aber auch nicht warm oder herzlich. Es war ein vollkommen emotionsloses Lächeln. »Wovor hast du Angst? Ich habe diese Kinder weder vergewaltigt noch getötet. Ich habe Kim nicht entführt. Ich bin kein Verbrecher.«
    »Ach, nein? Wie definierst du denn den Begriff Erpressung? Ist das etwa kein Verbrechen?«
    »Versuchte Erpressung. Das ist ein Unterschied.«
    »Für mich nicht.« Langsam gewann Virginia ihre Sicherheit zurück, und nun erwachte auch wieder die Wut in ihr. Wut auf alles, was er ihr getan hatte: sein Anruf nach Kims Verschwinden, aber auch die Lügen über seine angebliche Karriere. Die Schamlosigkeit, mit der er sich in ihrem Leben eingenistet hatte.
    »Verschwinde!«, sagte sie. »Verschwinde einfach und geh deinen eigenen Weg. Lass mich und meine Familie in Ruhe!«
    Beschwichtigend hob er beide Hände. Er konnte ihren Zorn spüren – aber auch die Enttäuschung, die er ihr zugefügt hatte. Sie mochte ihn hassen, aber in ihrem Hass schwangen noch viele verletzte Gefühle mit, und dies mochte ihm den Eindruck vermitteln, dass er ihr heftiges Verschwinde! für den Moment ignorieren durfte. »Virginia, ich würde gern …«
    »Wieso bist du überhaupt draußen? Wieso lassen sie einen wie dich frei herumlaufen?«
    »Wie ich schon sagte, als Täter komme ich ja wohl kaum mehr in Frage. Was die andere Geschichte betrifft – den Anruf bei euch –, war ich von Anfang an voll geständig. Ich darf bloß im Moment nicht das Land, nicht mal den Umkreis von King's Lynn verlassen, und die Polizei will wissen, wo ich erreichbar bin. Aber für den Knast bin ich jetzt ein zu kleiner Fisch. Am Ende werde ich wohl mit einer Bewährungsstrafe davonkommen.«
    »Dann ist für dich ja alles in Ordnung. Wozu musst du dann mich sehen?«
    Er schwieg einen Moment. »Weil zwischen uns etwas war, das nichts mit dieser ganzen Geschichte zu tun hat«, sagte er schließlich.
    »Es war etwas. Aber es ist nichts mehr. Und deshalb …«
    »Und deshalb möchtest du nicht einmal mehr mit mir reden? Virginia, es war mir so wichtig, dich zu sehen, dass ich mich heute Vormittag zu Fuß auf den Weg bis hierher gemacht habe und mich seither in diesem verdammten Park draußen herumdrücke, in der Hoffnung, dich für einen Moment allein sprechen zu können. Du sagtest, dein Mann kommt gleich zurück? Dann gib mir doch diese halbe Stunde, die wir vielleicht haben, und jage mich dann erst zum

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