Das Echo der Schuld
Tür. Nichts.
Ich habe mich geirrt, dachte er. Müde stolperte er die nächste Treppe hinunter. Erschöpfung und Resignation breiteten sich auf einmal wie ein schnell wirkendes Gift in ihm aus. Kim Quentin war nicht zu retten. Wieder würde er mit leeren Händen vor ihren Eltern stehen. Vielleicht hatte Stella Recht, und er vertat gerade kostbare Zeit. Vielleicht hätte er fortfahren müssen, Jack Walker, dessen Redefluss kaum zu bremsen gewesen war, zu verhören. Walker hätte ihm alles über Sarah und Rachel erzählt, und vielleicht wäre er dann zwangsläufig bei Kim gelandet und hätte anstelle von wirren Andeutungen klipp und klar gesagt, was er mit ihr getan hatte. Und wo sie zu finden war.
Womöglich hatte er einen großen Fehler gemacht. Seine Entscheidung hatte sich auf das Gefühl gegründet, dass die Zeit drängte. Dass Kim noch lebte, aber dass sie schnell gefunden werden musste. Dass keine Zeit blieb, Walkers endlosen, ausschweifenden Schilderungen zu lauschen. In der Hoffnung, dass er irgendwann das sagte, worauf alle brennend warteten.
Gefühl. Instinkt. Er hatte sich oft davon leiten lassen. Und oft gewonnen. Einige Male jedoch auch verloren.
Gott, wenn es diesmal schiefgegangen ist! Und wenn sich herausstellt, dass ein kleines Mädchen am Ende für meinen Irrtum bezahlen muss.
Schwer atmend blieb er stehen. Am liebsten wäre er auf dem Absatz umgekehrt, hätte sich ins Auto gesetzt, wäre zurück nach King's Lynn gerast, hätte sich Jack Walker vorgenommen und die Informationen über Kim Quentin aus ihm herausgeprügelt. Aber das wäre eine Panikreaktion gewesen. Und von Panik, das war nun wirklich klar, durfte man sich gerade in seinem Beruf keinesfalls leiten lassen.
Ganz ruhig, mahnte er sich, du führst zu Ende, was du begonnen hast. Du durchsuchst diesen Keller und dann den nächsten. Dann erst brichst du die Aktion hier draußen ab.
Und genau in diesem Moment hörte er es.
Das Geräusch war so schwach, dass er es mit seinen eigenen Schritten übertönt hätte, wäre er nicht gerade still gestanden. Vermutlich hätten schon die Anwesenheit Stellas und ihr Atmen gereicht, das Geräusch unhörbar zu machen. Nur weil er allein war, nur weil er gerade innehielt, nur weil für ein paar Momente vollkommene Stille um ihn herrschte, konnte er es wahrnehmen.
Es klang wie ein ganz feines Kratzen. Wie das Echo eines Kratzens. So zart, dass er einen Augenblick später schon wieder meinte, sich getäuscht zu haben. Doch dann hörte er es erneut. Es kam aus der Richtung, in der sich der Gang vor ihm in der Dunkelheit verlor.
Mit raschen Schritten, befreit plötzlich von aller Müdigkeit, ging er weiter. Er sagte sich, dass er nicht zu siegesgewiss sein sollte. Vielleicht waren es bloß Ratten, die hier unten herumhuschten, vielleicht hörte er nur ihre kleinen Krallen auf dem steinernen Boden.
Immer wieder blieb er stehen, hielt den Atem an, versuchte erneut, das Geräusch zu orten. Voller Angst, es könnte verstummen, ehe er seine Quelle gefunden hatte.
Doch es hielt an. Leise, kraftlos.
Er erreichte das Ende des Gangs. Rechts und links befanden sich zwei Räume. Die Türen waren längst aus den Scharnieren gebrochen und lagen auf dem Boden.
Wieder lauschte er. Das Geräusch kam aus dem Raum, der rechts von ihm lag. Er trat ein. Stella und er waren bei ihrem ersten Durchgang bereits dort gewesen. Ein Haufen zusammengebrochener und zu einem wirren Bretterhaufen gestapelter Holzregale hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, sie hatten zwischen die Latten geleuchtet, nichts von Belang jedoch dahinter entdeckt. Jetzt aber glaubte er ganz sicher zu hören, dass das Kratzen genau von dort kam. Wieder näherte er sich den Regalen. Es waren so viele, und sie waren derart zerborsten und ineinander verkeilt, dass er ganz schwer nur etwas dahinter erspähen konnte. Er legte die Taschenlampe zur Seite, platzierte sie so, dass sich ihr Strahl auf die Bretter richtete, und begann, die Regale zur Seite zu räumen. Da er nicht wusste, was sich dahinter befand, musste er sehr vorsichtig zu Werke gehen. Er wollte nicht, dass der ganze Aufbau in sich zusammenfiel.
Er keuchte. Das Kratzen war verstummt.
Dann erklangen Schritte hinter ihm, der Strahl einer zweiten Taschenlampe fiel in den Kellerraum.
»Hier bist du«, sagte Stella. »Was machst du da?«
»Da war ein Geräusch«, erklärte er, »hinter diesen Regalen. Hilf mir mal.«
Auch Stella legte ihre Lampe zur Seite. Es ging viel einfacher und schneller mit
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