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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nur im Allerentferntesten so sehr wie Michael, aber sie machte die Feststellung, dass, im Gegensatz zu dem, was ihre Mutter ihr immer einzureden versuchte, Liebe und Erotik nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben mussten. Was diesen jungen Mann betraf, so zeigte ihr Körper all die Symptome von Leidenschaft und Begehren, von denen sie immer gelesen und gehört hatte. Sie fand es wunderbar, mit ihm zu schlafen. Sie fand es himmlisch, ihn zu küssen. Sich langsam und verschmelzend mit ihm auf schwach beleuchteten Tanzflächen zu wiegen. Eng umschlungen mit ihm durch die Stadt zu bummeln. In der ersten Zeit konnte sie davon gar nicht genug bekommen. Sie gingen eineinhalb Jahre miteinander, abgesehen von einer vier Wochen währenden Krise, als Nicholas herausfand, dass ihn Virginia wegen ihres Alters belogen hatte. Er schmollte eine Weile, war jedoch selbst viel zu verrückt nach dem schönen, blonden Mädchen, um wirklich eine Trennung herbeiführen zu können. Sie erlebten aufregende Dinge zusammen, denn Nicholas hatte immer so viel Geld zur Verfügung, wie er nur wollte. Sie besuchten die angesagtesten Nobeldiskotheken, für die Virginias Taschengeld nie gereicht hätte, sie gingen in schicken Restaurants zum Essen, schauten sich Tennis in Wimbledon an und Pferderennen in Ascot. Es war ein neues Leben, eine neue Welt für Virginia, und sie genoss es in vollen Zügen.
    Unterdessen zog Michaels Vater endgültig daheim aus, und schließlich ging auch die Scheidung über die Bühne, gegen die sich zu wehren Michaels mittlerweile schwer depressive Mutter nicht mehr die Kraft fand. Zu dem Zeitpunkt, als sich die inzwischen sechzehnjährige Virginia gerade von Nicholas trennte – Geld und Glamour hatten ihren Reiz verloren, und echte Gefühle hatte es zwischen ihnen beiden nie gegeben –, war Michaels Mutter seelisch so schwer erkrankt, dass Michael immer mehr zu einer Art Krankenpfleger für sie wurde. Anstatt endlich sein eigenes Leben führen zu können – oder zumindest herausfinden zu können, worin sein eigenes Leben eigentlich bestand –, begleitete er seine Mutter zu ihren Therapien und saß daheim ganze Wochenenden lang geduldig neben ihr und hörte sich wieder und wieder die Geschichte ihrer Ehe und der Trennung an. Als sie nach zwei Jahren an einem mysteriösen Herzversagen starb, dessen Ursache auf eine Überdosis an Medikamenten zurückzuführen war, von der sich nie klären ließ, ob sie sie absichtlich eingenommen hatte, wusste der knapp achtzehnjährige Michael über lange Zeit nicht, womit er die plötzliche Leere in seinem Alltag füllen sollte. Es war die Zeit, in der seine eigenen Depressionen geboren wurden.
    Der einzige Mensch, der ihm blieb, war Virginia, die Gefährtin seiner Kinderjahre. Diese hatte sich gerade mit einem zwanzig Jahre älteren, sehr reichen Kanadier verlobt und war mit ihm nach Vancouver gegangen, flüchtete jedoch ein Jahr später kurz vor der geplanten Hochzeit vor seinen Gewalttätigkeiten zurück nach England. Es ging ihr nach dieser Erfahrung psychisch ebenfalls nicht gut. Auch sie suchte nach einem Halt, und es war fast unausweichlich, dass sie und Michael nun mit ausgestreckten Armen aufeinander zugingen. Angeschlagen und frustriert, wie sie waren, telefonierten sie häufig miteinander, sahen sich beinahe jeden Tag, entdeckten die alten Gefühle füreinander wieder und fanden in die Vertrautheit zurück, die sich in langen Jahren zwischen ihnen aufgebaut hatte. Als sich Virginia in Cambridge für ein Studium der Literaturwissenschaften einschrieb, war es sofort klar, dass auch Michael dort hinkommen würde. Er wollte Geschichte studieren und später eine Professur anstreben.
    Sie hausten in einer winzigen Wohnung, die eigentlich nur aus einem einzigen Zimmer und einer Kochnische bestand, hatten viele Freunde und führten ein geselliges Leben. In Virginias Schlepptau verlor auch Michael etwas von seinem Hang zum Eigenbrötlertum, wurde offener und fröhlicher. Virginia gewann sehr schnell ihre alte Lebhaftigkeit und Leichtigkeit zurück, obwohl sie zugleich versuchte, im Hinblick auf ihre Studien ein ernsthafteres Leben zu führen.
    Sie veränderte sich auch äußerlich: Die schicken Kostümchen und Stöckelschuhe, die sie in Vancouver getragen hatte, verschwanden in der Versenkung, stattdessen begann sie sich für ausgefranste Jeans, schwarze Pullover, Silberschmuck und ein düsteres Make-up zu begeistern. Sie rauchte ziemlich viel und nahm an literarischen Zirkeln

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